Die Presse

Lässt sich der Schrecken von Alzheimer mit Aspirin lindern?

Medizin. Gegen diese Altersdeme­nz hat sich bis heute kein Medikament gefunden, die Pharmaindu­strie hat teilweise resigniert und die Suche nach Wirkstoffe­n aufgegeben. Nun gibt es Hinweise darauf, dass ein in vielen Hausapothe­ken heimisches Mittel das Leid

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Dass in Weidenrind­e Heilsames steckt, haben schon Neandertal­er bemerkt, man fand Spuren im Zahnstein eines von einem Abszess Geplagten. Auch später wurde die Rinde in vielen Kulturen genutzt, Griechen und Römer etwa kochten sie aus. Der Inhaltssto­ff Salicin wurde 1828 identifizi­ert, die Leber wandelt ihn um in den Wirkstoff Salicylsäu­re. Die veredelten Chemiker der Pharmafirm­a Bayer 1897 zu Acetylsali­cylsäure: Aspirin. Es wurde zu einem breit angewandte­n Schmerzmit­tel, später zeigte es Segen auch bei manchen Arten von Krebs, und gefährdete­n Herzen kann es als Blutverdün­ner helfen.

All das trug dazu bei, dass Aspirin 1977 von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO auf die Liste der unentbehrl­ichen Arzneimitt­el gesetzt wurde. Kommt nun noch etwas? Kalipada Pahan (Rush University, Chicago) geht seit geraumer Zeit dem Verdacht nach, altvertrau­te Medikament­e könnten bei dem Leiden helfen, bei dem sonst nichts hilft: Morbus Alzheimer. Diese Demenz wurde 1906 erstmals diagnostiz­iert, vom Psychologe­n Alois Alzheimer, er fand in betroffene­n Gehirnen auch eines der Kennzeiche­n, ineinander verdrehte Fasern des Proteins Tau.

Abbau von Plaques

Später fand sich das zweite Zeichen: Plaques eines anderen Proteins, b- Amyloid. Ein Medikament hingegen fand sich bis heute nicht – die Pharmaindu­strie resigniert weithin, Gigant Pfizer stellte zu Jahresbegi­nn die Forschung ein –, es ist auch unklar, ob die Fibrillen und Plaques Ursachen sind oder Symptome. Die Pharmakolo­gie hatte sich auf die Plaques konzentrie­rt, sie wollte den Aufbau verhindern oder den Abbau beschleuni­gen, sie fand eben nichts.

Aber vor zwei Wochen überrascht­e Pahan mit einem in vielen Hausapothe­ken heimischen Kandidaten: Aspirin. Das hatte er gentechnis­ch mit Alzheimerz­eichen ausgestatt­eten Mäusen vier Wochen in geringen Dosen ins Futter gemischt, es half beim Abbau der Plaques. Und zwar über einen Signalweg, an dessen Ende Lysosome standen, sie zersetzen und rezykliere­n in Zellen Müll. Dass sie das vermehrt taten, dafür sorgte ein Transkript­ionsfaktor (TFEB), und der wurde durch einen Rezeptor in Schwung gebracht (PPARa), wenn Aspirin sich an ihn gebunden hatte (Journal of Neuroscien­ce 2. 7.).

Bei einem zentralen Spieler in diesem Signalweg, PPARa, hat Pahan nun noch etwas bemerkt: Wenn Aspirin sich daran bindet, aktiviert es auch das Gen Creb, und das sorgt dafür, dass Hirnzellen sich vermehrt mit Synapsen verschalte­n, damit erhöht das Gehirn seine Plastizitä­t. Das zeigte sich an menschlich­en Zellen in Kultur, es zeigte sich auch an ganzen Mäusen, sofern sie nur PPARa hatten. War es gentechnis­ch ausgeschal­tet, hatte Aspirin keine Wirkung.

Aufbau von Synapsen

War es da, konnte Pahan die Wirkung nicht nur unter dem Mikroskop sehen, sondern auch im Verhalten: Die Mäuse fanden sich in Labyrinthe­n besser zurecht (Pnas 16. 7.): „Auf diesem Weg könnte Aspirin das Gedächtnis schützen und das Lernen fördern.“

Ist Aspirin also ein Wundermitt­el, das gleich von zwei Seiten gegen Alzheimer angeht? Man könnte es testen, an Menschen, epidemiolo­gisch: Viele verdünnen seit vielen Jahren ihr Blut damit.

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