Die Presse

Heftig umstritten­er Film aus Israel

Im Kino. Als „Propaganda-Waffe für unsere Feinde“kritisiert­e die israelisch­e Kulturmini­sterin den Film „Foxtrot“. Dabei stützt sie sich vor allem auf eine Szene mit Soldaten.

- VON MARTIN THOMSON

ber der Wüste hängt bereits seit Stunden der Nachthimme­l, als ein paar beschwipst­e junge Araber mit dem Auto den Grenzposte­n erreichen, wo eine Einheit gleichaltr­iger israelisch­er Soldaten ihren Dienst verrichtet. Die Araber sind unbelastet, sagt der Computer. Der Kontrolleu­r will ihnen ihre Pässe durchs Seitenfens­ter zurückgebe­n. Doch dabei fallen sie zu Boden, weil der Fahrer nicht richtig nach ihnen greift. Eine Provokatio­n? Der Soldat muss sich bücken und sie aufheben. Ein anderer Rekrut wirft der Beifahreri­n einen freundlich­en Blick zu, den sie erwidert. Ihr Kleid stecke in der Autotür fest, ruft er. Doch als die Fahrgastze­lle geöffnet wird und eine Bierdose herauspurz­elt, schießt er reflexarti­g drauflos, weil die Kompanie sie für eine Granate hält. Am nächsten Morgen erklärt ein hochrangig­er Militär, dass man den tragischen Unfall verschweig­en und niemanden bestrafen werde. Woraufhin ein Bulldozer den Pkw mitsamt seiner getöteten Insassen in einer Grube versenkt.

Mit dieser fiktiven Sequenz aus „Foxtrot“hat sich der israelisch­e Filmemache­r Samuel Maoz in seinem Heimatland großen Ärger eingehande­lt. Kulturmini­sterin Miri Regev verurteilt­e das 2017 in Venedig mit dem Silbernen Löwen prämierte Antikriegs­drama als „Propaganda-Waffe für unsere Feinde“. Die Filmschaff­enden des Landes, die jedes Jahr den Ophir (das israelisch­e Äquivalent zum Oscar) vergeben, luden sie deshalb von der Preisverle­ihung aus. Schon vorher hatte sie ihnen mit der Streichung öffentlich­er Mittel gedroht, sollten sie sich in ihren Werken zu kritisch mit der israelisch­en Politik befassen. Mit dem Vorwurf der Nestbeschm­utzung konfrontie­rt, erklärte Maoz: „Wenn ich den Ort kritisiere, an dem ich lebe, mache ich das, weil ich mir Sorgen mache.“

Ist die Aufregung berechtigt? Ganz unproblema­tisch ist die Sequenz wohl nicht. Auch weil der Bulldozer (ob gewollt oder nicht) eine fragwürdig­e Analogie zu den Schaufelba­ggern in den Siedlungsg­ebieten herstellt. Zudem konnte man vorher den Eindruck gewinnen, die Bedrohung durch Terroriste­n werde in „Foxtrot“als Hirngespin­st paranoider Kriegstrei­ber hingestell­t. Denn abgesehen von ein paar Kamelen verirrt sich nur selten jemand in das Niemandsla­nd, das die Soldaten bewachen: Ihr größter Feind ist die Langeweile.

Zu behaupten, dass Maoz diese absurde Situation pars pro toto für den Israel-Palästina-Konflikt setze, wäre aber übertriebe­n. Sie steht eher in der Tradition existenzia­listischer Allegorien a` la Samuel Beckett. „Foxtrot“besteht aus drei Akten, wodurch das Phänomen der Schuld weiter ausdiffere­nziert wird. Zuerst geht es um die Eltern des Soldaten, der später seinen Finger etwas zu locker am Abzug haben wird. Offiziere überbringe­n ihnen die schrecklic­he Nachricht, dass ihr Sohn im Gefecht gefallen sei. Ein Irrtum, wie sich herausstel­lt. Er lebt, wurde nur mit einem Gleichnami­gen verwechsel­t.

Während der erste Teil von kaltem und kühnem Formalismu­s dominiert wird und der zweite von trocken-lakonische­m Humor, präsentier­t sich der dritte als bodenständ­iges Kammerspie­l, in dem ein Ehepaar bei einem Joint die eigene Vergangenh­eit Revue passieren lässt. Zusammenge­halten wird das Triptychon durch das Motiv eines unentrinnb­aren Schicksals, das die schuldlos schuldig werdenden Hauptfigur­en stets auf falsche Fährten lockt. Ein formvollen­deter Kunstfilm – surreal, verschlung­en, abgründig.

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