Was aus Mandelas Südafrika wurde
100. Geburtstag. Rechtzeitig vor dem Jubiläum drängte Cyril Ramaphosa, Mandelas Wunschnachfolger, den korrupten Jacob Zuma aus dem Präsidentenamt. Um sein Erbe fortzuführen, muss er den ANC reformieren.
Nelson Mandela und Barack Obama verband eine Herzensbeziehung und gegenseitige Bewunderung, die auch darin zum Ausdruck kam, dass ein gemeinsames Foto ihre Büros zierten. Zur Würdigung des heutigen 100. Geburtstags ihres „Madiba“, des „Vaters der Nation“, hätte Südafrika kaum eine bessere Wahl treffen können als eine Rede des früheren US-Präsidenten, der bereits zu dessen Trauerfeier im Dezember 2013 seinen Tribut an die Ikone des Freiheitskampfs geleistet hatte – eines „Giganten der Geschichte“, wie er sagte.
Zum Höhepunkt der Hommage Mandelas, die das Land am Kap schon seit Monaten in den Bann schlägt, versammelten sich am Dienstag in Johannesburg Honoratioren wie Cyril Ramaphosa, Südafrikas neuer Präsident, Ex-UNO-Generalsekretär Kofi Annan und Graca¸ Machel, die Mandela-Witwe. Die jahrzehntelange Unterdrückung durch das Apartheid-Regime habe zu großer Ungleichheit und Armut geführt, konstatierte Obama. Er bekannte: „Ich glaube an Nelson Mandelas Vision von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit.“Was wurde aus dem viel beschworenen Traum von der Regenbogennation fast fünf Jahre nach Mandelas Tod?
Politik
Die Speerspitze der großen Plage Korruption, personifiziert durch Ex-Präsident Jacob Zuma, ist das Land im Februar los geworden. Cyril Ramaphosa, damals Vizepräsident und Mandelas Intimus und Wunschnachfolger, hat im Duell um den Vorsitz der Regierungspartei ANC zuerst knapp die Oberhand behalten gegen die Ex-Frau Zumas. Schließlich drängte er den autokratischen Präsidenten zum Rücktritt. Zuma und seine Machtclique innerhalb des ANC hatten sich schamlos bereichert, weswegen ihnen jetzt auch ein Prozess ins Haus steht.
Um den Sieg bei den Präsidentenwahlen 2019 nicht zu gefährden, hat sich Ramaphosa indessen einstweilen mit der alten Garde und einigen Zuma-Leuten arrangiert. Der ANC, an Zwei-Drittelmehrheiten gewohnt, hat in den vergangenen Jahren vor allem bei Regionalwahlen schwere Einbußen erlitten. Die Vormachtstellung des African National Congress, der sich ganz dem Freiheitskampf verschrieben hatte, ist angekratzt – nicht nur in Kapstadt, der Hochburg der oppositionellen Democratic Alliance. Mittlerweile machen der Populist Julius Malema und seine Rothemden Furore, die sich vom ANC abgespalten haben und mit linken Parolen Zulauf unter frustrierten ANC-Wählern gewinnen.
Will Ramaphosa Südafrika in eine verheißungsvolle Zukunft führen, muss er den ANC, der sich viele Pfründe gesichert hat, einer radikalen Reform unterziehen. Neue Minister und ein Revirement in Spitzenpositionen markieren eine neue Ära. Doch die „Ramaphoria“, die Euphorie um seinen Amtsantritt, ist unterdessen ein wenig verflogen. Die Zeit der Zweidrittelmehrheiten für den ANC ist ohnedies passe.´ Zugleich offenbarte im April die nationale Trauer nach dem Tod der kontroversiellen Ex-Mandela-Frau Winnie Nostalgie nach der ANC-Dominanz. Industrie- und Finanzsektor. BMW, Ford oder Toyota produzieren Autos in Südafrika, südafrikanische Firmen behaupten sich am Weltmarkt. Die Papierhersteller Mondi und Sappi sind auch in Österreich ein Begriff.
Hinter dieser Fassade bröckelt es allerdings seit einigen Jahren. Die Rückgänge bei den Rohstoffpreisen und vor allem die Korruption unter Zumas Präsidentschaft haben die Investitionen zum Erliegen gebracht. 2017 wuchs die Wirtschaft lediglich um 0,6 Prozent – zu wenig für ein Schwellenland.
Die Arbeitslosigkeit stieg weiter auf zuletzt 27 Prozent. Vor allem für Jugendliche ist die Situation düster – von ihnen hat jeder zweite keinen Job. Das BIP stagniert: Mit knapp 6200 Dollar BIP pro Kopf rangiert das Land im Vorjahr nur mehr an sechster Stelle auf dem afrikanischen Kontinent.
Die Ungleichheit in der Bevölkerung ist sehr hoch. Laut Daten der OECD stellen für die unteren 60 Prozent der Südafrikaner staatliche Transferleistungen den überwiegenden Teil ihrer Einkommen dar. Gleichzeitig leidet das Land unter einem BrainDrain. Seit den frühen 1990er-Jahren hat etwa eine halbe Million junger, vor allem weißer Südafrikaner dem Kap den Rücken gekehrt. Aufhorchen ließ Ramaphosa zuletzt mit einem riskanten, umstrittenen Plan für entschädigungslose Landenteignungen. Die falsch durchgeführte Landreform führte im Nachbarland Simbabwe zum Kollaps.
Gesellschaft
In Johannesburg, Kapstadt, Durban oder Pretoria hat sich inzwischen eine selbstbewusste schwarze Mittelschicht und Elite etabliert, die gerne ihre Statussymbole zur Schau trägt oder in Form von SUVs und Luxuskarossen spazieren führt – eine Schicht aufstrebender Manager, Anwälte oder Stars der Entertainment-Industrie, die so auch in London, New York oder Los Angeles existiert. Viele nahmen sich ein Vorbild an Cyril Ramaphosa, dem Ex-Gewerkschaftsboss, der in der Privatwirtschaft zu einem der reichsten Männer des Landes aufstieg. Auch in Soweto – dem ehemaligen Vorzeige-Township vor den Toren Johannesburgs, in dem einst die beiden Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela und Desmond Tutu in unmittelbarer Nachbarschaft lebten – sind Zeichen des Wohlstands und des Wandels unverkennbar.
Viele schwarze Südafrikaner haben vom Ende des Apartheid-Systems profitiert. Das kann allerdings nicht die wachsende Kluft in der „Regenbogennation“kaschieren. Abseits und am Rande der boomenden Metropolen grassieren Armut und Arbeitslosigkeit. Es machen sich Ressentiments gegen die weißen Farmer breit. Auch an der Aids-Epidemie, an der fast jeder fünfte Südafrikaner leidet, hat sich nur wenig geändert.