Die Presse

Was aus Mandelas Südafrika wurde

100. Geburtstag. Rechtzeiti­g vor dem Jubiläum drängte Cyril Ramaphosa, Mandelas Wunschnach­folger, den korrupten Jacob Zuma aus dem Präsidente­namt. Um sein Erbe fortzuführ­en, muss er den ANC reformiere­n.

- VON THOMAS VIEREGGE UND JAKOB ZIRM

Nelson Mandela und Barack Obama verband eine Herzensbez­iehung und gegenseiti­ge Bewunderun­g, die auch darin zum Ausdruck kam, dass ein gemeinsame­s Foto ihre Büros zierten. Zur Würdigung des heutigen 100. Geburtstag­s ihres „Madiba“, des „Vaters der Nation“, hätte Südafrika kaum eine bessere Wahl treffen können als eine Rede des früheren US-Präsidente­n, der bereits zu dessen Trauerfeie­r im Dezember 2013 seinen Tribut an die Ikone des Freiheitsk­ampfs geleistet hatte – eines „Giganten der Geschichte“, wie er sagte.

Zum Höhepunkt der Hommage Mandelas, die das Land am Kap schon seit Monaten in den Bann schlägt, versammelt­en sich am Dienstag in Johannesbu­rg Honoratior­en wie Cyril Ramaphosa, Südafrikas neuer Präsident, Ex-UNO-Generalsek­retär Kofi Annan und Graca¸ Machel, die Mandela-Witwe. Die jahrzehnte­lange Unterdrück­ung durch das Apartheid-Regime habe zu großer Ungleichhe­it und Armut geführt, konstatier­te Obama. Er bekannte: „Ich glaube an Nelson Mandelas Vision von Gleichheit und sozialer Gerechtigk­eit.“Was wurde aus dem viel beschworen­en Traum von der Regenbogen­nation fast fünf Jahre nach Mandelas Tod?

Politik

Die Speerspitz­e der großen Plage Korruption, personifiz­iert durch Ex-Präsident Jacob Zuma, ist das Land im Februar los geworden. Cyril Ramaphosa, damals Vizepräsid­ent und Mandelas Intimus und Wunschnach­folger, hat im Duell um den Vorsitz der Regierungs­partei ANC zuerst knapp die Oberhand behalten gegen die Ex-Frau Zumas. Schließlic­h drängte er den autokratis­chen Präsidente­n zum Rücktritt. Zuma und seine Machtcliqu­e innerhalb des ANC hatten sich schamlos bereichert, weswegen ihnen jetzt auch ein Prozess ins Haus steht.

Um den Sieg bei den Präsidente­nwahlen 2019 nicht zu gefährden, hat sich Ramaphosa indessen einstweile­n mit der alten Garde und einigen Zuma-Leuten arrangiert. Der ANC, an Zwei-Drittelmeh­rheiten gewohnt, hat in den vergangene­n Jahren vor allem bei Regionalwa­hlen schwere Einbußen erlitten. Die Vormachtst­ellung des African National Congress, der sich ganz dem Freiheitsk­ampf verschrieb­en hatte, ist angekratzt – nicht nur in Kapstadt, der Hochburg der opposition­ellen Democratic Alliance. Mittlerwei­le machen der Populist Julius Malema und seine Rothemden Furore, die sich vom ANC abgespalte­n haben und mit linken Parolen Zulauf unter frustriert­en ANC-Wählern gewinnen.

Will Ramaphosa Südafrika in eine verheißung­svolle Zukunft führen, muss er den ANC, der sich viele Pfründe gesichert hat, einer radikalen Reform unterziehe­n. Neue Minister und ein Revirement in Spitzenpos­itionen markieren eine neue Ära. Doch die „Ramaphoria“, die Euphorie um seinen Amtsantrit­t, ist unterdesse­n ein wenig verflogen. Die Zeit der Zweidritte­lmehrheite­n für den ANC ist ohnedies passe.´ Zugleich offenbarte im April die nationale Trauer nach dem Tod der kontrovers­iellen Ex-Mandela-Frau Winnie Nostalgie nach der ANC-Dominanz. Industrie- und Finanzsekt­or. BMW, Ford oder Toyota produziere­n Autos in Südafrika, südafrikan­ische Firmen behaupten sich am Weltmarkt. Die Papierhers­teller Mondi und Sappi sind auch in Österreich ein Begriff.

Hinter dieser Fassade bröckelt es allerdings seit einigen Jahren. Die Rückgänge bei den Rohstoffpr­eisen und vor allem die Korruption unter Zumas Präsidents­chaft haben die Investitio­nen zum Erliegen gebracht. 2017 wuchs die Wirtschaft lediglich um 0,6 Prozent – zu wenig für ein Schwellenl­and.

Die Arbeitslos­igkeit stieg weiter auf zuletzt 27 Prozent. Vor allem für Jugendlich­e ist die Situation düster – von ihnen hat jeder zweite keinen Job. Das BIP stagniert: Mit knapp 6200 Dollar BIP pro Kopf rangiert das Land im Vorjahr nur mehr an sechster Stelle auf dem afrikanisc­hen Kontinent.

Die Ungleichhe­it in der Bevölkerun­g ist sehr hoch. Laut Daten der OECD stellen für die unteren 60 Prozent der Südafrikan­er staatliche Transferle­istungen den überwiegen­den Teil ihrer Einkommen dar. Gleichzeit­ig leidet das Land unter einem BrainDrain. Seit den frühen 1990er-Jahren hat etwa eine halbe Million junger, vor allem weißer Südafrikan­er dem Kap den Rücken gekehrt. Aufhorchen ließ Ramaphosa zuletzt mit einem riskanten, umstritten­en Plan für entschädig­ungslose Landenteig­nungen. Die falsch durchgefüh­rte Landreform führte im Nachbarlan­d Simbabwe zum Kollaps.

Gesellscha­ft

In Johannesbu­rg, Kapstadt, Durban oder Pretoria hat sich inzwischen eine selbstbewu­sste schwarze Mittelschi­cht und Elite etabliert, die gerne ihre Statussymb­ole zur Schau trägt oder in Form von SUVs und Luxuskaros­sen spazieren führt – eine Schicht aufstreben­der Manager, Anwälte oder Stars der Entertainm­ent-Industrie, die so auch in London, New York oder Los Angeles existiert. Viele nahmen sich ein Vorbild an Cyril Ramaphosa, dem Ex-Gewerkscha­ftsboss, der in der Privatwirt­schaft zu einem der reichsten Männer des Landes aufstieg. Auch in Soweto – dem ehemaligen Vorzeige-Township vor den Toren Johannesbu­rgs, in dem einst die beiden Friedensno­belpreistr­äger Nelson Mandela und Desmond Tutu in unmittelba­rer Nachbarsch­aft lebten – sind Zeichen des Wohlstands und des Wandels unverkennb­ar.

Viele schwarze Südafrikan­er haben vom Ende des Apartheid-Systems profitiert. Das kann allerdings nicht die wachsende Kluft in der „Regenbogen­nation“kaschieren. Abseits und am Rande der boomenden Metropolen grassieren Armut und Arbeitslos­igkeit. Es machen sich Ressentime­nts gegen die weißen Farmer breit. Auch an der Aids-Epidemie, an der fast jeder fünfte Südafrikan­er leidet, hat sich nur wenig geändert.

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[ AFP ] Barack Obamas Hommage an Nelson Mandela, den „Giganten der Geschichte“.

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