Wenn Tosca in den Kamp springt
Bühne Baden. Isabella Gregor gelang eine temporeiche, stimmige und nur durch sinnvolle Pointen aktualisierte Produktion von Carl Millöckers „Bettelstudent“in der Sommerarena.
Lada Kyssy überzeugt als Tosca bei den Sommerspielen Gars.
Vielleicht ist die Durststrecke vorüber? Jedenfalls mehren sich in jüngster Zeit die Nachrichten, dass Operettenaufführungen wieder ohne allzu kühne Bearbeitungsorgien über die Bühne gehen, dass man versucht, an die lange komödiantische Musiktheatertradition dieses Landes anzuknüpfen. In Baden bei Wien ist das jedenfalls so. Dort gibt man den „Bettelstudenten“. Und dieser sieht aus wie der „Bettelstudent“, er klingt wie der „Bettelstudent“– und was man sich in der Sommerarena an Anspielungen auf aktuelle und allzu aktuelle Geschichten und Figuren leistet, ist nicht störender, als je eine Zusatzstrophe in einem Nestroy-Couplet gewesen ist.
In Zeiten, da man noch keine Regisseurswillkür walten ließ, sondern zuerst einmal das Publikum zu unterhalten trachtete. Die Bühne Baden unterhält ihr Publikum, so viel steht fest. Während der Aufführung wird viel gelacht – und es wird sogar mitgesummt, wenn eine Wunschkonzertmelodie erklingt. Im Falle von Carl Millöckers Glanzstück kommt das des Öfteren vor. Sage keiner, dass er sich davon gestört fühle. Dergleichen gehört bei Sommerfestspielen, noch dazu, wenn sie dem „leichten Genre“gelten, einfach dazu.
Zumal Regisseurin Isabella Gregor die Nähe zum Publikum sucht; genauer: Sie lässt ihre Darsteller diese Nähe suchen. Gespielt wird nicht nur auf der kleinen Sommerarena-Bühne, sondern auch im Auditorium. So etwas geht in aller Regel schief und wirkt rasch peinlich. Nicht so diesmal. Denn Gregor versteht sich aufs Tempomachen.
Eine Inszenierung, in der so viel in so kurzer Zeit passiert, sieht man nicht alle Tage. Und all das auch noch im Rhythmus der Musik, die Oliver Ostermann mit dem Badener Orchester federnd leicht und klangschön am Laufen hält. Der Oberst Ollendorf Jochen Schmeckenbechers absolviert bei seinem Auftrittslied einen veritablen Hindernislauf – ohne aus dem Takt zu kommen und ohne bei der charmanten Phrasierung des „Ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“auf sein einschmeichelndes Rubato verzichten zu müssen.
Kokettiert wird nach Herzenslust
Mit Schmeckenbecher hat sich Badens neuer Intendant Michael Lanker eines internationalen Opernstars versichert, der die Latte für die Besetzung hoch legt. Man lässt sich nicht lumpen. Da ist manch kraftvoller Tenor mit sicheren, wenn auch vielleicht ein wenig metallisch gefärbten Höhen zu hören, voran der von Matjazˇ Stopinsek,ˇ dessen genüsslich hochstapelndem Symon Rymanowicz man anhört, dass er sich unterm Jahr auch mit heldischen Opernpartien abgibt.
Ihm zur Seite Ricardo Frenzel Baudisch als eloquenter jugendlicher Compagnon – die Damenwelt darf sich nach allen Regeln der Kunst umschwärmt fühlen und nach Herzenslust kokettieren. Sylvia Rieser als verarmte Gräfin Nowalska bildet mit ihren Töchtern Bronislava (Ilia Staple) und Laura (Regina Riel) ein brillantes KomödiantenTrio, musikalisch dank der offenbar exzel- lenten Einstudierungsarbeit harmonisch abgetönt, szenisch effektiv: Dem hinreißenden Spieltalent Ilia Staples verdankt der Abend einige der verschmitztesten Pointen – und Regina Riel bietet mit machtvollen Sopranattacken den Stentortönen des Titelhelden mühelos Paroli.
Perfekt getaktet auch die zahlreichen Genreszenen, beginnend mit den punktgenau ge-, aber nicht zerblödelten Gefängnisszenen um Oberst Ollendorf und seine Soldateska, wobei Robert R. Herzl nur in ganz wenigen Momenten aufs Sächseln vergisst. Dass zum Thema MeToo extemporiert werden würde, war bei einem Stück, dessen Intrige durch einen allzu plumpen Annäherungsversuch ausgelöst wird, zu erwarten.
Dass der von Johannes Terne liebevoll charakterisierte letzte Getreue der bankrotten Gräfin, der Diener Onuphri, über ein bedingungsloses Grundeinkommen sinniert, hat auch Methode.
Kurz, man spielt in Baden Operette auf einem musikalischen Niveau, das einem Meisterwerk der goldenen Operettenära angemessen ist, in unprätentiöser Sommertheater-Manier.
Dafür braucht’s szenisch auch nicht mehr als die kargen, ganz simplen Bühnenbilder von Dietmar Solt; und den Willen des Publikums, gute Laune mitzubringen. Sie wird an diesem Abend wachgehalten, denn die Bewegung, die von Anbeginn herrscht, lässt nicht nach. Bühne Baden: „Der Bettelstudent“: noch elf Aufführungen bis 27. August; Info: www.buehnebaden.at.