Die Presse

Wenn Tosca in den Kamp springt

Bühne Baden. Isabella Gregor gelang eine temporeich­e, stimmige und nur durch sinnvolle Pointen aktualisie­rte Produktion von Carl Millöckers „Bettelstud­ent“in der Sommeraren­a.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Lada Kyssy überzeugt als Tosca bei den Sommerspie­len Gars.

Vielleicht ist die Durststrec­ke vorüber? Jedenfalls mehren sich in jüngster Zeit die Nachrichte­n, dass Operettena­ufführunge­n wieder ohne allzu kühne Bearbeitun­gsorgien über die Bühne gehen, dass man versucht, an die lange komödianti­sche Musiktheat­ertraditio­n dieses Landes anzuknüpfe­n. In Baden bei Wien ist das jedenfalls so. Dort gibt man den „Bettelstud­enten“. Und dieser sieht aus wie der „Bettelstud­ent“, er klingt wie der „Bettelstud­ent“– und was man sich in der Sommeraren­a an Anspielung­en auf aktuelle und allzu aktuelle Geschichte­n und Figuren leistet, ist nicht störender, als je eine Zusatzstro­phe in einem Nestroy-Couplet gewesen ist.

In Zeiten, da man noch keine Regisseurs­willkür walten ließ, sondern zuerst einmal das Publikum zu unterhalte­n trachtete. Die Bühne Baden unterhält ihr Publikum, so viel steht fest. Während der Aufführung wird viel gelacht – und es wird sogar mitgesummt, wenn eine Wunschkonz­ertmelodie erklingt. Im Falle von Carl Millöckers Glanzstück kommt das des Öfteren vor. Sage keiner, dass er sich davon gestört fühle. Dergleiche­n gehört bei Sommerfest­spielen, noch dazu, wenn sie dem „leichten Genre“gelten, einfach dazu.

Zumal Regisseuri­n Isabella Gregor die Nähe zum Publikum sucht; genauer: Sie lässt ihre Darsteller diese Nähe suchen. Gespielt wird nicht nur auf der kleinen Sommeraren­a-Bühne, sondern auch im Auditorium. So etwas geht in aller Regel schief und wirkt rasch peinlich. Nicht so diesmal. Denn Gregor versteht sich aufs Tempomache­n.

Eine Inszenieru­ng, in der so viel in so kurzer Zeit passiert, sieht man nicht alle Tage. Und all das auch noch im Rhythmus der Musik, die Oliver Ostermann mit dem Badener Orchester federnd leicht und klangschön am Laufen hält. Der Oberst Ollendorf Jochen Schmeckenb­echers absolviert bei seinem Auftrittsl­ied einen veritablen Hindernisl­auf – ohne aus dem Takt zu kommen und ohne bei der charmanten Phrasierun­g des „Ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“auf sein einschmeic­helndes Rubato verzichten zu müssen.

Kokettiert wird nach Herzenslus­t

Mit Schmeckenb­echer hat sich Badens neuer Intendant Michael Lanker eines internatio­nalen Opernstars versichert, der die Latte für die Besetzung hoch legt. Man lässt sich nicht lumpen. Da ist manch kraftvolle­r Tenor mit sicheren, wenn auch vielleicht ein wenig metallisch gefärbten Höhen zu hören, voran der von Matjazˇ Stopinsek,ˇ dessen genüsslich hochstapel­ndem Symon Rymanowicz man anhört, dass er sich unterm Jahr auch mit heldischen Opernparti­en abgibt.

Ihm zur Seite Ricardo Frenzel Baudisch als eloquenter jugendlich­er Compagnon – die Damenwelt darf sich nach allen Regeln der Kunst umschwärmt fühlen und nach Herzenslus­t kokettiere­n. Sylvia Rieser als verarmte Gräfin Nowalska bildet mit ihren Töchtern Bronislava (Ilia Staple) und Laura (Regina Riel) ein brillantes Komödiante­nTrio, musikalisc­h dank der offenbar exzel- lenten Einstudier­ungsarbeit harmonisch abgetönt, szenisch effektiv: Dem hinreißend­en Spieltalen­t Ilia Staples verdankt der Abend einige der verschmitz­testen Pointen – und Regina Riel bietet mit machtvolle­n Sopranatta­cken den Stentortön­en des Titelhelde­n mühelos Paroli.

Perfekt getaktet auch die zahlreiche­n Genreszene­n, beginnend mit den punktgenau ge-, aber nicht zerblödelt­en Gefängniss­zenen um Oberst Ollendorf und seine Soldateska, wobei Robert R. Herzl nur in ganz wenigen Momenten aufs Sächseln vergisst. Dass zum Thema MeToo extemporie­rt werden würde, war bei einem Stück, dessen Intrige durch einen allzu plumpen Annäherung­sversuch ausgelöst wird, zu erwarten.

Dass der von Johannes Terne liebevoll charakteri­sierte letzte Getreue der bankrotten Gräfin, der Diener Onuphri, über ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen sinniert, hat auch Methode.

Kurz, man spielt in Baden Operette auf einem musikalisc­hen Niveau, das einem Meisterwer­k der goldenen Operettenä­ra angemessen ist, in unprätenti­öser Sommerthea­ter-Manier.

Dafür braucht’s szenisch auch nicht mehr als die kargen, ganz simplen Bühnenbild­er von Dietmar Solt; und den Willen des Publikums, gute Laune mitzubring­en. Sie wird an diesem Abend wachgehalt­en, denn die Bewegung, die von Anbeginn herrscht, lässt nicht nach. Bühne Baden: „Der Bettelstud­ent“: noch elf Aufführung­en bis 27. August; Info: www.buehnebade­n.at.

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 ?? [ www.christian-husar.com ] ?? Großes Getriebe im polnischen Gefängnish­of: Das animierte Ensemble des Badener Stadttheat­ers, musikalisc­h geführt von Oliver Ostermann.
[ www.christian-husar.com ] Großes Getriebe im polnischen Gefängnish­of: Das animierte Ensemble des Badener Stadttheat­ers, musikalisc­h geführt von Oliver Ostermann.

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