Reportage: „Hier hat Mandela seine Memoiren vor den Wärtern versteckt“
Südafrika. Auf der Insel Robben Island saß der spätere Nobelpreisträger Nelson Mandela 18 Jahre lang im Gefängnis. Auch Thulani Mabaso war hier eingesperrt. Er erinnert sich.
Kapstadt. Jeden Tag kehrt Thulani Mabaso in die Vergangenheit zurück, zu seiner eigenen Geschichte und der seines Landes, Südafrika. Zurück zum Anschlag, den er verübte, zu der Folter, die er durchlitt – und zu den Erinnerungen an den großen Freiheitshelden Nelson Mandela. So auch an diesem Tag, als er am Hafen auf einen rostigen Kahn deutet und sagt: „Das ist das Boot, das mich in die Freiheit gebracht hat. Es heißt Pinguin.“
Die Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt. Etwa sieben Kilometer sind es bis zum Festland, gut 30 Minuten dauert die Fahrt mit einem der Touristenboote. Es ist ein windiger Ort, umgeben von rauer See. In der Ferne erhebt sich in der Morgensonne majestätisch der Tafelberg. Ein krasser Kontrast zu den Wachtürmen und den Mauern, die man auf der Insel schon von Weitem erkennen kann. Zu Zeiten der Apartheid sperrte das weiße Rassistenregime hier Verbrecher und politische Gegner ein. Inzwischen ist Robben Island Nationaldenkmal und Museum für Besucher aus aller Welt.
„Insel brachte drei Präsidenten hervor“
Acht Jahre lang war auch Thulani Mabaso Gefangener, heute führt er Touristengruppen herum und erzählt ihnen von der Haftzeit und seinem Leben als Freiheitskämpfer. In diesem Jahr kommen besonders viele Touristen: Mandela, der 18 seiner insgesamt 27 Jahre dauernden Gefangenschaft auf Robben Island verbrachte,
wäre am 18. Juli 100 Jahre alt geworden. „Die Insel hat drei Präsidenten hervorgebracht. Deshalb war Robben Island eine unserer besten Universitäten“, sagt Mabaso lächelnd, als er vom Hafen auf ein großes Tor zusteuert, auf dem dem die Worte prangen: „Willkommen auf Robben Island. Wir dienen mit Stolz.“Neben Mandela, dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, saßen hier auch der später umstrittene Staatschef Jacob Zuma (2009 bis 2018) sowie Kgalema Motlanthe ein, der vor Zuma einige Monate Übergangspräsident und dann dessen Stellvertreter war.
Hinter Mauern und Stacheldraht erstrecken sich flache Gefängnisblöcke. Die anderen Häftlinge wurden strikt von den politischen Gefangenen, den „Terroristen“wie der Staat sie nannte, getrennt. Der Weg zu Sektion B, wo die prominentesten Köpfe der vom Apartheidsregime verbotenen Befreiungsbewegung Afrikanischen Nationalkongress (ANC) inhaftiert waren, führt an dem Büro der Zensoren vorbei. Jeder Brief wurde geprüft und alles herausgeschnitten, was die Gefängnisverwaltung als unangemessen oder politisch empfand. An der Wand hängt noch ein Text, der mehr Löcher als Worte hat. „Wir durften nicht einmal schreiben, dass das Essen schlecht ist.“
Eine 2,40 mal 2,10 Meter große Zelle
Die Zelle Nummer 7 in Sektion B ist die Hauptattraktion des Museums: Mandelas Zelle, ein winziger Raum von 2,40 mal 2,10 Meter Größe. Eine Wolldecke am Boden, daneben ein Hocker und ein Kübel für die Notdurft. Weiter nichts. Hier lebte der spätere Friedensnobelpreisträger seit dem Jahr 1964, bis er 1982 in das Pollsmoor-Gefängnis auf dem Festland verlegt wurde. Durch das schmale Fenster blickt man in einen grauen Innenhof. Eine Ecke ist bepflanzt. „Dort hat Mandela seine Memoiren vergraben, um sie vor den Wärtern zu verstecken.“
Thulani Mabaso führt durch Gittertüren und verwinkelte Gänge weiter zu Sektion A, zu seiner Zelle, wo er sich schwerfällig auf dem Bett niederlässt. Er ist ein großer Mann, etwa 1,90 Meter, aber seine Haltung ist gebückt, das Gehen fällt ihm schwer, obwohl er erst 56 ist. Die Schmerzen der Folter sind ihm bis heute geblieben. „Sie haben mich zum Krüppel gemacht“, sagt er.
Als Jugendlicher schon faszinierte ihn der Freiheitskampf, mit 15 schloss er sich dem bewaffneten Flügel des ANC an. In Swasiland habe er von Instruktoren aus der Sowjetunion gelernt, wie man mit Handgranaten umgeht, Sprengsätze baut und Makarow-Pistolen bedient. „Dann habe ich am 23. April 1982 einen Sprengsatz in einem Gebäude des Militärgeheimdienstes platziert. Er war in einem Schuhkarton versteckt.“Es gab 57 Leichtverletzte, keine Toten. „Wir haben sie gewarnt. Wir wollten nicht töten.“Noch am selben Tag wurde er festgenommen.
Elektroschocks und Schläge
Die Folterverhöre fanden am John-VorsterPlatz statt, dem berüchtigten Hauptquartier der Sicherheitspolizei in Johannesburg. „Sie haben mir Elektroschocks gegeben, mich geschlagen, meine Knochen gebrochen. Sie haben mich gezwungen, meine Fäkalien zu essen.“Manchmal, sagt Thulani Mabaso, habe er nicht mehr gewusst, welcher Tag oder welcher Monat es war. „Ich habe alles verloren. Ich habe sogar den Schmerz verloren.“Er wurde zu 18 Jahren Gefängnis ver- urteilt und 1983 nach Robben Island gebracht. Seinem großen Vorbild Mandela ist Mabaso auf der Insel nie begegnet. Ihre Wege kreuzten sich kurz nach Thulani Mabasos Festnahme in Pollsmoor. „Er sagte: Du hast das sehr gut gemacht, Comrade. Ich bin dankbar für Deinen Beitrag“, erinnert sich der Ex-Häftling. „Ich war so froh, dass er wusste, wer ich bin!“
Das Ende der Apartheid kam für die Häftlinge nicht überraschend. „Als in Berlin die Mauer fiel, wussten wir: Die Apartheid ist als nächstes dran. Und wir hatten Recht“, sagt Thulani Mabaso, als er zurück zum Hafen führt. 1991 wurde er als einer der letzten politischen Gefangenen von der Insel entlassen. Heute bekomme er eine kleine Pension, die aber kaum ausreiche, um die Medikamente zu bezahlen.
War es das alles wert? Lange schweigt Thulani Mabaso. Dann sagt er langsam: „Es war es wert. Ich bin sehr stolz. Ich kann wählen. Ich kann überall hingehen, wo ich will. Und ich stehe hier für all diejenigen, die heute nicht mehr da sind.“