Mandelas Briefe aus dem Gefängnis
Neues Buch. In seinen „Briefen aus dem Gefängnis“schickt Nelson Mandela jeder Andeutung von Leid einen Widerruf hinterher. Gerade dadurch verrät er viel über den Mann, der er war und sein wollte.
Wien. Nein, diese Briefe bieten nicht Einblick in ein Gefängnisleben. Und auch nicht in die Gefühle eines 21 Jahre lang Inhaftierten – es sei denn indirekt: durch das, was der Verfasser an-, aber nicht ausdeutet, gleich wieder fallen lässt oder gar nicht erst schreibt. Und zwar, obwohl er es trotz Zensur könnte.
Mandelas „Briefe aus dem Gefängnis“, soeben im Beck Verlag erschienen, sind private Briefe. Politisches hätte das Gefängnis nicht verlassen. Doch auch so wusste Mandela nie, welcher Brief tatsächlich die Zensur passieren würde. Er schrieb umso beharrlicher: und zwar nicht, um vom Gefängnis zu erzählen, sondern um ihm zu entfliehen. Nicht wissend, ob er jemals wieder ein Familienleben führen würde, suchte er die Fernbeziehung. Dass man seinen Briefen als Leser ergriffen folgt, hat viel damit zu tun, dass ihr Kontext ausführlich erzählt und nicht nur in Fußnoten gepackt wird.
„Manchmal fühle ich mich wie jemand, der im Abseits steht, an dem das Leben vorbeigeht“, schreibt er 1979 an seine Frau Winnie: „Der gemeinsame morgendliche Weg zur Arbeit, die Anrufe im Lauf des Tages, die Berührung Deiner Hand oder die Liebkosungen, wenn Du im Haus unterwegs warst . . .“In einem Traum sieht er sie tanzen und bittet daraufhin im Brief, sie möge in seinen Träumen „bitte wieder die Hawaiianerin“für ihn machen.
Selbst in schlimmsten Momenten schickt dieser Mann jeder Andeutung von Schmerz den Widerruf hinterher. Dabei ist die Verzweiflung etwa in einem Brief vom Juli 1969 mit keiner Formel zu überdecken: Kurz nacheinander waren Mandelas Mutter und bei einem Autounfall sein 25-jähriger Erstgeborener gestorben; Mandela durfte beide Male nicht zur Beerdigung gehen. „Die Mutter und den Erstgeborenen zu verlieren und den Lebenspartner für ungewisse Zeit eingesperrt zu wissen, und das alles im Zeitraum von zehn Monaten, ist für einen einzelnen Menschen selbst in normalen Zeiten eine allzu schwere Bürde“, schreibt Mandela an die schon wieder in Haft befindliche Winnie. Gleich im nächsten Satz stellt er klar: „Aber ich beklage mich überhaupt nicht, meine Liebste.“Es folgt: „Nie zuvor habe ich mich so sehr nach Dir gesehnt wie gerade jetzt.“
Empfiehlt Winnie „positives Denken“
So pendeln diese Briefe zwischen leisen Andeutungen des Leids und deren sofortiger Negation. Mandela hat jeden seiner Briefe kopiert und aufbewahrt. Trotz ihres privaten, bisweilen auch intimen Charakters ließ er offiziell nur den selbstbeherrschten, positiv denkenden Mandela zu. 1970 empfahl er der inhaftierten Winnie ein Buch, das seit 1952 zum Welterfolg geworden war: „Die Kraft positiven Denkens“von Norman Vincent Peale: „Den metaphysischen Argumenten“, schrieb er über den christlichen Autor,
„messe ich keine Bedeutung bei, aber seine Ansichten zu physischen und psychologischen Fragen halte ich für brauchbar.“
Hier beeindruckt nicht die Brillanz eines inhaftierten Intellektuellen wie Vaclav´ Havel, sondern die Verbindung aus Warmherzigkeit und Entschlossenheit, mit einer Geisteshaltung auch schlimmste Umstände zu besiegen. Einmal kommentiert er in einem Brief an seine Tochter Zindzi ihr Gedicht „Ein Baum ward gefällt“: Es ist eine Gedichtinterpretation als Lebensphilosophie. Der abgestorbene Baum, um den es hier gehe, schreibt er, würde ohne Zindzis Gedicht völlig nichtssagend wirken. Indem sie aus ihm aber eine „Metapher“mache, werde er „etwas Lebendiges, etwas Bedeutungsvolles, das uns mehr zu sagen hat als ein junger, gesunder Baum in einem fruchtbaren, wasserrreichen Tal“. Und, als wär’s ein kleines Apropos, fragt er sie unversehens, ob Mum ihr je von ihrem vor der Geburt verstorbenen Bruder erzählt habe. „Er war so winzig, wie Deine Faust gewesen ist, als ich euch verlassen habe. Er hat Deine Mum fast umgebracht.“
Selbst ein Mandela will mit seiner Trauer nicht ganz allein bleiben – doch schon ist er wieder beim Gedicht, das ihm selbst als Metapher dient: Ein gutes, so verkündet er, wieder ganz sein eigenes Monument, könne „Tragik in Hoffnung und Sieg verwandeln“.