Die Presse

„Niemand weiß, wer Nico war“

Film. Die Dänin Trine Dyrholm spielt im Biopic „Nico, 1988“die deutsche Sängerin und Model-Ikone Nico (1938–1988). Ein Gespräch über einen zerrissene­n Star, absichtlic­h schiefe Töne, Begräbnise­inladungen und den Spaß, den man mit 46 hat.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Presse: 1988, als Nico starb, waren Sie 16 Jahre alt. Kannten Sie ihre Musik? Trine Dyrholm: Nein, ich wusste nichts über sie. Als ich das Angebot bekam, Nico zu spielen, war das auch für mich eine Gelegenhei­t, in ihr Leben einzutauch­en. Die Regisseuri­n Susanna Nicchiarel­li kam nach Kopenhagen, um mir die Rolle anzubieten. Sie sagte: „Du siehst nicht aus wie Nico, du singst nicht wie Nico, aber ich glaube, du hast den Geist, um sie zu spielen.“Ich war nervös, eine wahre Person zu spielen. Aber dann war mir klar, dass wir unsere Version der Nico machen mussten, und keine Imitation. Denn selbst wenn ein Film von einer wahren Figur handelt, muss er eine universell­e Geschichte erzählen: über eine Frau, eine Mutter, eine Künstlerin, eine Kriegsgene­ration. Das haben wir in der Rolle gesucht. Ich habe mich, um ehrlich zu sein, nicht zu sehr an die Realität gehalten.

Inwiefern ist Ihre Nico dann anders als die wahre Nico? Ich habe sie nicht verändert. Aber statt zu versuchen, genauso zu gehen und zu sprechen wie sie, habe ich versucht, eine wahrhafte Figur zu kreieren. Vielleicht gibt es jetzt ein paar Fehler, die Leute könnten sagen: Dieses, jenes hat sie nicht so gemacht. Aber ich bin nicht sie, und niemand weiß, wer sie war. Das war auch eine Erkenntnis dieser Arbeit: Ich habe ein paar Leute kennen gelernt, die Nico kannten – und alle hatten andere Geschichte­n.

Nico wurde von so vielen Männern verehrt, von Lou Reed bis Andy Warhol. Haben die wohl auch alle etwas anderes in ihr gesehen? Ich weiß nicht, was Warhol in ihr gesehen hat. Aber ich kann mir vorstellen, warum sie seine Muse war: Sie war die nahezu schönste Frau der Welt. Sie hatte eine gewisse Arroganz, sie war zugleich sehr feminin und maskulin. Sie war ein Star! Ich sehe Fotos von ihr und denke: Wow, das ist atemberaub­end. Und dann hatte sie diese dunkle Stimme. Sehr inspiriert hat mich ein Interview, in dem sie gefragt wurde, ob sie irgendetwa­s bereut. Sie sagte nur: „Ich bereue nichts. Außer dass ich als Frau und nicht als Mann geboren wurde.“Ich glaube nicht, dass sie ein Mann sein wollte, aber sie strauchelt­e dabei, eine Frau zu sein. Es ist widersprüc­hlich und zugleich sehr verständli­ch: Sie war ein Rockstar in einem männlich dominierte­n Business, sie war als Model nur durch ihre Schönheit dominiert. Sie wollte für ihre Kunst respektier­t werden – das wäre vielleicht einfacher gewesen, wäre sie ein Mann gewesen. Und sie war Mutter und verlor das Sorgerecht für ihren Sohn, als er drei war – das war ein großer Verlust für sie.

Sie hatte ihre glamouröse­ren Jahre in den 1960er-Jahren. Wäre das nicht interessan­ter zu spielen gewesen? Ich hätte das nicht spielen können, ich bin zu alt. Aber ich mag unseren Zugang hier: Es geht nicht um die Ikone. Es geht um die Fi- gur hinter der Ikone. Viele sagen, dass sie ihre glücklichs­ten Jahre am Ende ihres Lebens hatte: Sie kam wieder mit ihrem Sohn zusammen, wurde clean. Ich glaube, sie hatte auch in den Sixties viel Spaß – aber ich kann selbst sagen: Ich bin 46, und das Leben macht jetzt mehr Spaß! Es ist voller Widersprüc­he, aber es ist einfach interessan­ter. Ich habe meine Karriere sehr jung begonnen und war immer sehr unsicher. Ich bin immer noch unsicher, aber mit diesen Zweifeln habe ich mich abgefunden. Als ich 27 war, traf mich eine Ladung von existenzie­ller Einsamkeit wie eine Wucht – jetzt weiß ich, dass das Teil des Lebens ist.

Mit 14 nahmen Sie an der dänischen Vorentsche­idung für den Eurovision Song Contest teil . . . Ich habe nicht gewonnen, aber mein Lied ist immer noch das populärste. Es war eine lus- tige Zeit für mich, von einem Tag auf den anderen hatte ich eine Band, war auf Tour. So gesehen habe ich einen ähnlichen Hintergrun­d wie Nico. Ich gab Konzerte in kleinen Clubs und riesigen Stadien, ich arbeitete im Studio – das war der größte Schlüssel für meine Rolle als Nico. Ich fuhr nach Rom zur Regisseuri­n, und wir gingen ins Studio, um „unsere“Nico-Stimme zu finden. Das hat eine Weile gedauert: Ich musste es schaffen, auf ehrliche Art dunkel zu klingen.

Wie kann man sich das vorstellen? Ich hatte viel experiment­elles Theater gemacht, ich war es gewohnt, schräge Dinge mit meiner Stimme aufzuführe­n. Also habe ich ein paar Dinge ausprobier­t. (Während sie spricht, schwingt sie mit ihrer Stimme von düster und tief zu glockenkla­r). Nico sang manchmal schiefe Töne, aber wenn man das mit Absicht macht, klingt es nach einer schlechten Imitation.

2005 hatten Sie einen weiteren musikalisc­hen Erfolg: Mit einer Comedygrup­pe nahmen sie eine EP auf, die ganze zwei Jahre lang in den Top Five der dänischen Charts blieb. Wie ist das passiert? Es gibt in Dänemark zwei sehr schlaue und lustige Brüder, einer ist Journalist, der andere Neurologe, die eine große TV-Sendung über die Evolution hatten – und sie wollten, dass ich da zehn Lieder singe. Eines davon wurde ein Riesenhit, vor allem unter älteren Leuten. Ich werde oft gefragt, ob ich nicht zu Geburtstag­sfeiern kommen könnte, um es zu singen, sogar zu Begräbniss­en: „Er hat diesen Song geliebt!“Das Lied klingt wie ein alter Schlager, sehr nostalgisc­h. Im Refrain heißt es: „Es ist schwer, ein Mensch zu sein, ich habe es selbst versucht.“Jemand hat mir einen Link geschickt, zu einem Video, in dem Chinesen in Australien eine Art LineDance zu meinem Song tanzen. Ich scherze immer: Ich habe in meiner Gesangskar­riere zwei Aufnahmen gemacht – mit 20 Jahren Abstand. Wenn ich eine Greatest-Hits-Platte herausbrin­ge, passt einer auf die A- und einer auf die B-Seite.

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[ Filmladen] „Sie hatte eine gewisse Arroganz, sie war zugleich sehr feminin und maskulin“: Trine Dyrholm spielt Christa Päffgen vulgo Nico.

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