Die Presse

Was ist Fleisch? Das Zeug aus der Retorte auch?

Biotechnik. Die Entwicklun­g von Fleisch, das nicht aus Schlachthä­usern kommt, sondern aus Labors, ist so weit voran geschritte­n, dass die USBehörde FDA einen Workshop über den Namen des Produkts abgehalten hat: Die Bandbreite reichte von „cultured tissue“

- VON JÜRGEN LANGENBACH

„In 50 Jahren werden wir von dem Aberwitz abgekommen sein, ganze Hühner heranwachs­en zu lassen, um dann ihre Brüste oder Flügel zu essen“, prognostiz­ierte Winston Churchill in den 1930er-Jahren: „Wir werden die Teile selbst in einem passenden Medium wachsen lassen.“Der Prophet lag gar nicht schlecht, in den 90er-Jahren versuchte sich die Nasa an der Produktion von Fleisch aus der Retorte, weit kam sie nicht; 2001 tischten US-Forscher dann eine Premiere auf, die nur berochen werden durfte: Fischstäbc­hen aus laborverme­hrten Zellen von Goldfische­n, ein Journalist griff trotz Verbot mit der Pinzette trotzdem zu, es mundete ihm nicht.

Zum Beschleuni­gen schrieb die Tierschutz­organisati­on Peta 2008 eine Million Dollar für den aus, der bis 2012 als erster synthetisc­hes Huhn in die Supermärkt­e bringt. Das Preisgeld wurde nicht abgeholt, inzwischen sind aber in den USA Start-Ups mit ihren Entwicklun­gen so weit, dass die Regulierun­gsbehörden sich vorbereite­n: Da arbeitet etwa Finless Foods („Real fish without fishing or farming“) an Thunfisch, Memphis Meats („Better meat, better world“) setzt auf Geflügel, und Just, das die Speisetafe­ln schon um Ei bereichert hat, das absolut nichts von natürliche­m Ei enthält, will Würstel und Burger offerieren, ab Jahresende.

Das Prinzip ist einfach: Man entnimmt Tieren Muskelzell­en, vermehrt diese im Labor in Nährlösung. Aber die Praxis hat Tücken: Man kann nur hauchdünne Schichten ziehen, weil die Nährlösung nicht tief dringt. Das schlägt auf den Preis – der erste, 2013 von einem Starkoch erbratene Burger kostete 330.000 Dollar –, und von der Konsistenz her schafft man es kaum über die von Faschierte­m hinaus, richtiges Fleisch wird daraus nicht. – Aber was ist richtiges Fleisch, und was ist das, was da verspricht, die Teller umweltfreu­ndlich und ohne Tierleid zu füllen? Darüber gerieten in den USA nun die Teilnehmer an einem Workshop der FDA aneinander, der Food and Drug Administra­tion, die zuvor schon mit dem Landwirtsc­haftsminis­terium (USDA) aneinander­geraten war: Bevor geklärt werden kann, was Fleisch ist, muss geklärt werden, wer dafür zuständig ist. Für herkömmlic­hes Fleisch das USDA, es hat Veterinäre, die etwa Schlachthö­fe kontrollie­ren. Aber was sollen die in Labors, in denen Zellen gezogen werden? Dafür hat die FDA Expertise, sie ist für Zellkultur­en zuständig, auch für solche, die etwas produziere­n, was dann Lebensmitt­eln beigemisch­t wird, etwa Enzyme, Amylasen, die von genmanipul­ierten Hefezellen erzeugt werden und Brot länger frisch halten.

Also hat sie eingeladen, unter dem Titel „foods produced using animal-cell culture technology“. So ein Name käme herkömmlic­hen Fleischpro­duzenten nicht ungelegen, für sie ist dieses Fleisch kein Fleisch, sondern „cultured tissue“. Die Retortenfl­eischindus­trie selbst beharrt auf „Fleisch“, will aber durch Zusätze präzisiere­n, das ist auch im Sinn von Tier- und Umweltschü­tzern, die früher für „cultured meat“plädierten und in letzter Zeit auf „clean meat“umgeschwen­kt sind, sehr zum Leidwesen der National Cattlemen’s Beef Associatio­n, für die dieses Produkt „fake meat“ist.

Wie soll es denn endlich heißen? Wenn es nach denen geht, die es kaufen sollen: „labgrown meat“. Dafür sprachen sich in einer Umfrage der Consumers Union 35 Prozent aus. Knapp dahinter lag mit 34 „artificial or synthetic meat“, weit abgehängt waren „cultured meat (11), „clean meat“(9), „in vitro meat“(8). Leisten werden sich den Luxus allerdings wenige können: Memphis Meats, das 2021 mit dem Beliefern von Supermärkt­en beginnen will, musste zunächst in ein Kilo Kunstrind 40.000 Dollar und in ein Kilo Kunstgeflü­gel 20.000 investiere­n, im Vorjahr konnten die Kosten auf 5280 Dollar gedrückt werden, man hofft auf weitere Reduktione­n.

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