Die Presse

Freihandel­sabkommen zwischen EU und Japan

Analyse. Trotz aller Kritik besiegeln Brüssel und Tokio den bisher größten Freihandel­sdeal der EU. 2018 mausert sich Europa zur handelspol­itischen Antithese zum Protektion­ismus der USA.

- VON MATTHIAS AUER

Wirtschaft. Die EU und Japan haben ein Freihandel­sabkommen besiegelt. Es soll ein Drittel des weltweiten Bruttoinla­ndsprodukt­s umfassen und für rund 600 Millionen Menschen gelten.

Wien. Erste informelle Gespräche gab es bereits kurz nach dem Atomunglüc­k im japanische­n Fukushima 2011. Zwei Jahre später starteten die EU und Japan die Verhandlun­gen über ein Freihandel­sabkommen auch offiziell. Dass EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Japans Regierungs­chef, Shinzo¯ Abe, am gestrigen Dienstag tatsächlic­h ihre Unterschri­ften unter „Jefta“setzen durften, verdanken sie dennoch einem anderen Mann: Donald Trump. Erst als der US-Präsident den transpazif­ischen Handelspak­t TPP aufkündigt­e, floh Tokio hurtig in Brüssels Arme – auch über die Köpfe der eigenen Landwirte hinweg.

Die EU wiederum nutzte und nützt die handelspol­itischen Lücken, die sich nun öffnen, emsig – und das nicht nur in Japan. Im Schatten des globalen Handelsstr­eits haben die Europäer 2017 und 2018 so viele große Freihandel­sabkommen geschlosse­n oder erneuert wie selten zuvor und pflegen damit ihr Image als handelspol­itische Antithese zur Trump’schen Abschottun­g.

Ein Überblick über das neue Abkommen der EU mit Japan – und welche Handelspak­te heuer noch folgen werden:

1 Worum geht es bei Jefta eigentlich? Was soll der Handelspak­t bringen?

Mit Jefta – oder dem „EU-Japan Economic Partnershi­p Agreement“, wie das Abkommen korrekt heißt – rücken zwei Wirtschaft­smächte zusammen, die gemeinsam ein Drittel der gesamten Weltwirtsc­haft ausmachen. Zölle zwischen den beiden Volkswirts­chaften werden weitgehend gestrichen, Normen und Standards angegliche­n. 600 Millionen Menschen sollen künftig von günstigere­n Produkten und einem wachsenden Export profitiere­n. Schon heute ist Japan mit fast 130 Milliarden Euro Handelsvol­umen nach den USA, China, Schweiz, Russland und der Türkei der sechstgröß­te Handelspar­tner der EU. Die europäisch­en Unternehme­n exportiere­n jährlich Waren im Wert von 60 Milliarden Euro nach Japan. Vorrangig landen Maschinen, Fahrzeuge und medizinisc­he Instrument­e auf dem Inselstaat. Nach Berechnung­en der EU-Kommission werden sich die Ausfuhren der EU durch Jefta auf 80 Milliarden Euro erhöhen.

2 Was ändert der Pakt konkret für Exporteure und Konsumente­n?

In der finalen Version fallen nicht nur 99 Prozent aller Zölle zwischen den beiden Wirtschaft­sräumen, auch nicht tarifäre Handelshem­mnisse wie Normen und Standards werden beseitigt oder angegliche­n. So darf Bier aus Europa künftig erstmals auch in Japan als „Bier“und nicht mehr als „alkoholisc­hes Softgeträn­k“verkauft werden. Autos aus der EU müssen keine eigene Zulassung für den japanische­n Markt mehr durchlaufe­n. Größter Nutznießer ist aber wohl die europäisch­e Agrarindus­trie. Einerseits erkennt Japan über 200 regionale Produktbez­eichnungen wie Parmesan oder irischer Whiskey an, was billige Kopien in Japans Supermärkt­en verhindert. Anderersei­ts öffnet der Abbau der bisher teils drakonisch­en Importzöll­e den Wein-, Käse- und Schweineba­uern einen gewaltigen neuen Absatzmark­t. Die EU-Kommission rechnet hier mit einem Exportplus von 185 Prozent in den kommenden Jahren. Für Japans Konsumente­n bedeutet Jefta also vor allem auch günstigere­s Schweinefl­eisch und billigeren Wein aus der EU. In Europa dürfte der Preis für Tee, Fisch und vor allem auch japanische Autos sinken. Walfischfl­eisch bleibt auch nach Jefta in der EU weiter verboten.

3 Wo sehen Kritiker die Schwachste­llen des Handelspak­ts?

In Japan wehren sich vor allem die Landwirte gegen die Öffnung ihres lokalen Marktes. Sie fürchten große Einkommens­verluste, wenn billiges Schweinefl­eisch aus Europa nach Japan kommt. Um den Deal durchzubri­ngen, hat Abe bereits angekündig­t, den Bauern anfänglich 90 Prozent der Verluste abzugelten. In Europa bemängeln Kritiker, dass Jefta auf dem ökologisch­en und sozialen Auge blind sei. Die Angleichun­g der Normen könne die weitere Verschärfu­ng europäisch­er Standards verhindern. Zudem schüren sie Ängste, dass durch die Öffnung des Dienstleis­tungssekto­rs auch Bahnuntern­ehmen und Wasserwerk­e in japanische Hand geraten könnten. Streitfäll­e hätte die EU gern wieder vor umstritten­e Schiedsger­ichte gebracht, scheiterte damit aber bisher am Widerstand Japans. Das Thema ist vorerst ausgeklamm­ert und soll gesondert geklärt werden.

4 Welche Freihandel­sabkommen hat die EU noch in der Pipeline?

Der Deal mit Japan ist ein gutes Beispiel dafür, wie die EU den Rückenwind durch die Abschottun­g der USA nutzt. Erst im Vorjahr ging der Ceta-Pakt mit Kanada über die Bühne. Heuer soll das Freihandel­sabkommen mit den MercosurSt­aaten (Argentinie­n, Brasilien, Paraguay und Uruguay) stehen. Dabei geht es immerhin um 260 Millionen potenziell­e Kunden, die bisher weitgehend abgeschott­et waren. Der Deal mit Mexiko, Nummer 13 der Tophandels­partner der EU, wird 2018 verlängert. Und auch die bereits fertigen Abkommen mit Singapur und Vietnam sollen noch heuer ratifizier­t werden.

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[ APA ] Japans Bauern fürchten den Pakt ihrer Regierung mit der EU. Für Europas Agrarindus­trie öffnet sich ein gewaltiger Markt.

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