Die wahrhaftige „Tour der Leiden“
Tour de France. Der schwer verletzte Lawson Craddock kämpft sich durch die FrankreichRundfahrt. Die Aufmerksamkeit nützt er geschickt, seine Qualen zahlen sich mittlerweile aus.
Startnummer 13 war in diesem Fall kein gutes Omen. Gleich auf der ersten Etappe der Tour de France fuhr Lawson Craddock in der Verpflegungszone auf eine Wasserflasche und krachte in die Zuschauer. Ein böser Sturz, das Gesicht des Texaners war blutüberströmt, das Schulterblatt gebrochen. Doch der 26-Jährige fuhr weiter, kämpfte sich im Peloton an der Atlantikküste entlang, durch die Hügel der Bretagne und sogar über das berüchtigte Kopfsteinpflaster im Norden Frankreichs. Nun, da sich der Tross über die ersten Alpengipfel plagt, ist Craddock zwar mit Abstand der Letzte der Gesamtwertung, trotz 1:46:07 Stunden Rückstand nach der zehnten Etappe aber immer noch im Rennen.
„Mein Körper kämpft schon hart, um sich vom Knochenbruch zu erholen“, sagt Craddock. Zusammen mit den Anstrengungen der Tour de France, Beiname „Tour der Leiden“, sei das „eine ganze Menge“. Die Schulter schmerze, die Position auf dem Rennrad sei alles andere als angenehm, und weil seine Beweglichkeit eingeschränkt ist, bekommt er die Energieriegel von den Teamkollegen gereicht.
Aufgeben ist dennoch keine Option. Der Profi des Teams EF Education First Drapac aus Colorado nützt die Aufmerksamkeit vielmehr für den guten Zweck. Über ein Spendenkonto – er selbst gibt 100 Dollar pro beendeter Etappe – unterstützt er das durch den Hurrikan Harvey im Spätsommer 2017 schwer beschädigte Alkek Velodrome in Houston. Darüber hinaus hat er eine Fundraising-Kampagne im Internet gestartet und so Stand Mittwochnachmittag innerhalb von neun Tagen 104.321 Dollar (89.645 Euro) gesammelt.
Craddock betont, er sei als Kämpfer erzogen worden, „Texas tough“, wie sie in seiner Heimat sagten. „An diesem Punkt tue ich es wirklich nicht mehr für mich, sondern für die Kinder in Houston, damit sie eine gute und sichere Umgebung zum Radfahren haben.“Er selbst habe als Zehnjähriger mit dem Radsport begonnen, das Alkek Velodrome sei nur zehn Minuten von seinem Zuhause entfernt gewesen. „Ich habe es immer lieb und wert gehalten. Es gibt nicht so viele in den USA.“
Seine Vorhaben in allen Ehren, im Peloton wird auch die Frage gestellt, ob die Teamleitung Craddock nicht besser vor sich selbst schützen sollte. Mannschaftsarzt Kevin Sprouse verteidigt den Texaner. Er nehme ausschließlich Paracetamol und Ibuprofen, der Bruch sei stabil und werde von den Muskeln geschützt. „Die größte Sorge ist weniger der Bruch, sondern eher, wie er das Rad beherrschen kann. Er sagt, er kann“, erklärte Sprouse.
Tatsächlich kam bereits Kritik an Craddock auf. „Er ist sicher auch eine Gefahr für die anderen“, meinte etwa der deutsche Ex-Profi Jörg Jaksche. „Er reagiert anders, später, gehemmter – das kann im großen Fahrerfeld problematisch werden. Wenn er noch einmal fällt, ist er weg.“Jaksche fuhr selbst einmal mit angebrochener Hand Lüttich–Bastogne–Lüttich, später gab er als Kronzeuge zu, während seiner Karriere gedopt zu haben. Wie auch Tyler Hamilton, der 2003 mit einem gebrochenen Schlüsselbein eine Bergetappe bei der Tour de France gewann und Vierter im Gesamtklassement wurde.
Unterstützung erfährt Craddock von niemand Geringerem als seinem texanischen Landsmann und gelegentlichen Trainingspartner Lance Armstrong. „Es ist großartig, dass er mich so ermutigt. Die Unterstützung von so vielen Leuten ist einfach unglaublich“, erzählte Craddock. Wenn er daran denke, es am 29. Juli ins Ziel nach Paris zu schaffen, bekomme er Gänsehaut.
Ständiger Begleiter bis dorthin wird weiterhin die Startnummer 13 auf seinem Rücken sein. „Als ich die 13 ausgefasst habe, habe ich mir gesagt, das bringt Glück. Aber als ich auf diese Flasche gefahren bin, war das einer meiner ersten Gedanken. Jetzt ist daraus jedoch etwas wirklich Großartiges geworden“, erklärte der beharrliche Texaner.