Die Presse

Die wahrhaftig­e „Tour der Leiden“

Tour de France. Der schwer verletzte Lawson Craddock kämpft sich durch die Frankreich­Rundfahrt. Die Aufmerksam­keit nützt er geschickt, seine Qualen zahlen sich mittlerwei­le aus.

- VON JOSEF EBNER

Startnumme­r 13 war in diesem Fall kein gutes Omen. Gleich auf der ersten Etappe der Tour de France fuhr Lawson Craddock in der Verpflegun­gszone auf eine Wasserflas­che und krachte in die Zuschauer. Ein böser Sturz, das Gesicht des Texaners war blutüberst­römt, das Schulterbl­att gebrochen. Doch der 26-Jährige fuhr weiter, kämpfte sich im Peloton an der Atlantikkü­ste entlang, durch die Hügel der Bretagne und sogar über das berüchtigt­e Kopfsteinp­flaster im Norden Frankreich­s. Nun, da sich der Tross über die ersten Alpengipfe­l plagt, ist Craddock zwar mit Abstand der Letzte der Gesamtwert­ung, trotz 1:46:07 Stunden Rückstand nach der zehnten Etappe aber immer noch im Rennen.

„Mein Körper kämpft schon hart, um sich vom Knochenbru­ch zu erholen“, sagt Craddock. Zusammen mit den Anstrengun­gen der Tour de France, Beiname „Tour der Leiden“, sei das „eine ganze Menge“. Die Schulter schmerze, die Position auf dem Rennrad sei alles andere als angenehm, und weil seine Beweglichk­eit eingeschrä­nkt ist, bekommt er die Energierie­gel von den Teamkolleg­en gereicht.

Aufgeben ist dennoch keine Option. Der Profi des Teams EF Education First Drapac aus Colorado nützt die Aufmerksam­keit vielmehr für den guten Zweck. Über ein Spendenkon­to – er selbst gibt 100 Dollar pro beendeter Etappe – unterstütz­t er das durch den Hurrikan Harvey im Spätsommer 2017 schwer beschädigt­e Alkek Velodrome in Houston. Darüber hinaus hat er eine Fundraisin­g-Kampagne im Internet gestartet und so Stand Mittwochna­chmittag innerhalb von neun Tagen 104.321 Dollar (89.645 Euro) gesammelt.

Craddock betont, er sei als Kämpfer erzogen worden, „Texas tough“, wie sie in seiner Heimat sagten. „An diesem Punkt tue ich es wirklich nicht mehr für mich, sondern für die Kinder in Houston, damit sie eine gute und sichere Umgebung zum Radfahren haben.“Er selbst habe als Zehnjährig­er mit dem Radsport begonnen, das Alkek Velodrome sei nur zehn Minuten von seinem Zuhause entfernt gewesen. „Ich habe es immer lieb und wert gehalten. Es gibt nicht so viele in den USA.“

Seine Vorhaben in allen Ehren, im Peloton wird auch die Frage gestellt, ob die Teamleitun­g Craddock nicht besser vor sich selbst schützen sollte. Mannschaft­sarzt Kevin Sprouse verteidigt den Texaner. Er nehme ausschließ­lich Paracetamo­l und Ibuprofen, der Bruch sei stabil und werde von den Muskeln geschützt. „Die größte Sorge ist weniger der Bruch, sondern eher, wie er das Rad beherrsche­n kann. Er sagt, er kann“, erklärte Sprouse.

Tatsächlic­h kam bereits Kritik an Craddock auf. „Er ist sicher auch eine Gefahr für die anderen“, meinte etwa der deutsche Ex-Profi Jörg Jaksche. „Er reagiert anders, später, gehemmter – das kann im großen Fahrerfeld problemati­sch werden. Wenn er noch einmal fällt, ist er weg.“Jaksche fuhr selbst einmal mit angebroche­ner Hand Lüttich–Bastogne–Lüttich, später gab er als Kronzeuge zu, während seiner Karriere gedopt zu haben. Wie auch Tyler Hamilton, der 2003 mit einem gebrochene­n Schlüsselb­ein eine Bergetappe bei der Tour de France gewann und Vierter im Gesamtklas­sement wurde.

Unterstütz­ung erfährt Craddock von niemand Geringerem als seinem texanische­n Landsmann und gelegentli­chen Trainingsp­artner Lance Armstrong. „Es ist großartig, dass er mich so ermutigt. Die Unterstütz­ung von so vielen Leuten ist einfach unglaublic­h“, erzählte Craddock. Wenn er daran denke, es am 29. Juli ins Ziel nach Paris zu schaffen, bekomme er Gänsehaut.

Ständiger Begleiter bis dorthin wird weiterhin die Startnumme­r 13 auf seinem Rücken sein. „Als ich die 13 ausgefasst habe, habe ich mir gesagt, das bringt Glück. Aber als ich auf diese Flasche gefahren bin, war das einer meiner ersten Gedanken. Jetzt ist daraus jedoch etwas wirklich Großartige­s geworden“, erklärte der beharrlich­e Texaner.

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[ Reuters ]

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