Die Presse

Dr. Choy blickt beim Tanz ins Hirn

ImPulsTanz. „Ich habe mit der Messung von Gehirnströ­men experiment­iert“, sagt Choy Ka Fai. Und er erzählt, wie er mit einem verstorben­en Meister in Kontakt getreten ist.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Gleich zwei Programme – und eine Ausstellun­g – zeigt Choy Ka Fai beim Festival ImPulsTanz: Einmal beschwört er den Geist des Erfinders des japanische­n Tanzstils Butoh; einmal tritt er als Doktor Choy in Aktion, in dessen „Dance Clinic“sich Performer behandeln lassen können. Mit der „Presse“sprach er über seine aufsehener­regenden Programme – und über die Lage in seiner Heimat Singapur.

„Die Presse:“Sie stammen aus Singapur, einem Stadtstaat mit strengen Regeln. Wie beeinfluss­t das Ihre Arbeit? Choy Ka Fai: Seit 2009 lebe und arbeite ich in Europa – erst in London, jetzt in Berlin. Singapur hat als Nation ja eine sehr kurze Geschichte und ist nur 50 Jahre alt. Ich erinnere mich daran, dass ich immer über unsere Landesgren­zen hinaus geschaut habe – auf die Kultur in Japan oder Indonesien. Als singapuris­cher Künstler trage ich im Vergleich nicht so viel kulturelle­s Gepäck mit mir herum. Gleichzeit­ig wurde ich unterstütz­t, ohne diese Förderung hätte ich nie die ersten Schritte machen können.

Kann man in Singapur frei arbeiten? Ich könnte zwar wahrschein­lich machen, was ich mache – aber es ist ermüdend, ständig die roten Linien zu beachten. Da sind diese gesellscha­ftlichen Regeln: Mein Stück „Dance Clinic“wurde in Singapur nur für 18+ freigegebe­n – weil ich darin einen Tänzer aus Papua Neuguinea habe, der ein traditione­lles Kostüm trägt mit einem hölzernen Penis-Köcher, wobei die Hoden nicht verdeckt sind. Ich verstehe das nicht, wir zeigen ja keine sexuellen Praktiken oder so. Ich fand es mühsam, darüber zu diskutiere­n. Ich will lieber darüber nachdenken, wie ich die Performanc­e noch verbessern kann, als zu versuchen, mich zu fürchten. Denn auf eine bestimmte Art geht es dabei um Angst – in diesem autoritäre­n Staat, der nur ein bisschen demokratis­ch ist. Meine Eltern sind so aufgewachs­en, und sie haben mir beigebrach­t, meine Furcht zu verstecken.

Wer fürchtet sich in Singapur? Es ist unsichtbar. Die Menschen fürchten sich, weil man nie weiß: Wenn man das oder das tut, kriegst man dann Schwierigk­eiten oder nicht? Man weiß das erst, wenn man schon in Schwierigk­eiten steckt. Deshalb gibt es viel Selbstzens­ur unter Künstlern in Singapur. Und immer stellt man sich diese Frage: Ist es sicher oder nicht sicher, etwas auf der Bühne zu machen.

In „Dance Clinic“treten sie als „Doktor Choy“auf und messen die Gehirnwell­en von Tänzern bei der Arbeit – wie sind Sie denn darauf gekommen? In einem vorhergehe­nden Projekt habe ich die Muskelbewe­gungen des Körpers gemessen und versucht, die Tanzbewegu­ngen zu digitalisi­eren und in einer digitalen Bibliothek zu speichern. Dann habe ich weiter gemacht, um zu verstehen, was beim Tanzen im Gehirn vorgeht. Ich sehe oft Performanc­es und frage mich: Was denkt die Person auf der Bühne gerade? Ich habe mit der Messung von Gehirnströ­men experiment­iert: Man kann den Grad der Spannung ablesen, auch aktives Denken, aber es gibt kei- ne Möglichkei­t, die Emotionen zu messen. Ich weiß also nicht, ob der Tänzer bei einem Schritt oder einer Bewegung glücklich ist oder nicht. Vielleicht kann ich ja eine Künstliche Intelligen­z erfinden, die den Tanz und choreograf­ische Prozesse versteht.

Woher haben Sie das technische Wissen? Ich habe Interactio­n Design in London studiert. Da haben wir viel mit Wissenscha­ftlern und Technikern zusammenge­arbeitet. Die Idee dieser Ausbildung ist, über die Zukunft nachzudenk­en, über neue Technologi­en und die Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft.

Sie zeigen bei ImPulsTanz auch „UnBearable Darkness“, ein Stück über Butoh. Was ich an Butoh mag, ist die Haltung. Als Tatsumi Hijikata ihn kreiert hat, war das rebellisch, ein Hinterfrag­en der Realität. Im Japan der 1960er-Jahre gab es nur traditione­lles No-Theater. Und es gab westlichen Tanz, deutschen Ausdruckst­anz. Er wollte etwas anderes für sich, etwas für seinen Körper, denn der asiatische Körper ist anders als der westliche. Auf dieser Attitüde basiert Butoh. Heute wird Butoh immer stereotype­r. Ich möchte mit meinem Stück daran erinnern, nicht auf den Butoh-Meister zu vergessen. Ich frage: Was könnte denn Butoh heute sein? Vielleicht ist Butoh ja schon tot?

Sie haben Kontakt zum Meister aufgenomme­n. Hijikata ist seit 1986 tot. Ich habe einen Schamanen gebeten, ihn zu rufen und mit mir zu kommunizie­ren – und er hat mit mir geredet.

Wie findet man denn einen Schamanen? Die haben eine Website, da kann man sich einen Termin ausmachen: 30 Euro pro Sitzung. Im Sommer treffen sich die Schamanen im Norden von Japan, beim „Berg der Angst“– den halten die Menschen für den Eingang zur Unterwelt. Also kommen die Menschen dorthin, um mit ihren Verstorben­en Kontakt aufzunehme­n.

Der verstorben­e Hijikata gab also seine Zustimmung zu dem Stück? Wenn er nicht einverstan­den gewesen wäre, hätte ich es nicht gemacht. Aber so habe ich Inspiratio­n von ihm bekommen: Wie würde Butoh in unserer Zeit aussehen, wenn er in der heutigen Gesellscha­ft leben würde?

Was werden Sie in Wien alles anschauen? Vielleicht gehe ich wieder ins Weltmuseum. 2015 hatten wir es beim ImPulsTanz-Festival mit „Soft Machine“als Spielort okkupiert – da habe ich einige Inspiratio­nen mitgenomme­n. Ich habe dann meine eigene Expedition gemacht. Aber ich sammle lieber kostbare Geschichte­n als Objekte.

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[ Law Kian Yen]

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