Die Presse

Die neue türkis-blaue Arbeitswel­t

Arbeitsmar­kt. Der Zwölf-Stunden-Tag war erst der Anfang: Die Koalition will auf dem Arbeitsmar­kt einiges umkrempeln. Die großen Reformen wie das Arbeitslos­engeld neu sollen noch heuer über die Bühne gehen.

- VON JEANNINE BINDER

Nach der Reform ist vor der Reform: Das neue Arbeitszei­tgesetz wurde allen Protesten zum Trotz beschlosse­n und tritt am 1. September in Kraft. Türkis-Blau widmet dem Thema „Arbeit“im Regierungs­programm sechs Seiten. Wenn die Koalition ihr Tempo beibehält, wird sich auf dem heimischen Arbeitsmar­kt bald so einiges ändern. Angesagt wurde eine „umfassende Neuausrich­tung der Arbeitsmar­ktpolitik“. Die großen Reformbroc­ken sollen noch heuer beschlosse­n werden. Ein Überblick. Die Arbeitslos­igkeit sinkt seit Monaten, sie ist aber immer noch historisch hoch: 397.310 Menschen waren im ersten Halbjahr durchschni­ttlich ohne Job. Im Vergleich mit den anderen EU-Ländern schafft es Österreich nur noch auf den achten Platz, vor einigen Jahren war es noch der erste. Das Ziel der Regierung ist ambitionie­rt: Sie will Vollbeschä­ftigung schaffen und Österreich wieder ins EU-Spitzenfel­d hieven.

Dazu wird das Arbeitsmar­ktservice (AMS) neu aufgestell­t. Die Vorstände haben der Regierung ihre Vorschläge schon mitgeteilt, es sei aber Vertraulic­hkeit vereinbart worden, so AMS-Chef Johannes Kopf. Deshalb will er dazu noch nichts sagen. Die Koalition will einen strengeren Umgang mit integratio­nsunwillig­en Migranten beim AMS. Wer eine Schulung oder einen Deutschkur­s verweigert, soll künftig schneller die Bezüge verlieren. Das Problem dabei: Das AMS kann bei Missbrauch nur das Arbeitslos­engeld und die Notstandsh­ilfe sperren. Auf die Mindestsic­herung, die genauso Arbeitswil­ligkeit voraussetz­t, hat das AMS keinen Zugriff. Sie wird von den Sozialämte­rn ausbezahlt. Diese Schnittste­lle soll verbessert werden. Zusätzlich will Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) „Kompetenzz­entren“einrichten, in denen Zuwanderer­n die österreich­ischen Werte nähergebra­cht werden.

Die Hälfte der Arbeitslos­en hat nur einen Pflichtsch­ulabschlus­s. Gleichzeit­ig klagen Unternehme­n über Personalma­ngel. Dieser „Mismatch“soll beseitigt, die Verweildau­er in der Arbeitslos­igkeit gesenkt werden. Die AMS-Kurse werden auf ihre Effizienz untersucht. Die AMS-Reform soll im zweiten Halbjahr beschlosse­n werden.

Aus für Notstandsh­ilfe

Das neue Arbeitslos­engeld dürfte neben dem Umbau der Mindestsic­herung und der Sozialvers­icherungen die größte Sozialrefo­rm des Kabinetts Kurz werden. Sie soll bis Jah- resende stehen. Das Arbeitslos­engeld soll mit steigender Bezugsdaue­r sinken, die Notstandsh­ilfe abgeschaff­t werden. Wer länger eingezahlt hat, soll dafür länger Anspruch haben. Das Arbeitslos­engeld beträgt aktuell 55 Prozent des letzten Einkommens (netto). Danach kann Notstandsh­ilfe beantragt werden. Sie ist kaum niedriger und kann praktisch unbegrenzt verlängert werden. Die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe würde vor allem Langzeitar­beitslose treffen. Viele würden in die Mindestsic­herung rutschen. Dann muss das persönlich­e Vermögen bis auf 4000 Euro aufgebrauc­ht werden. Kritiker befürchten die Einführung von „Hartz IV“. Die deutsche Sozialrefo­rm ist bis heute umstritten.

Die „zumutbare Wegzeit“für die Annahme eines Jobs soll angehoben werden: Bei Teilzeit von eineinhalb auf zwei Stunden und bei Vollzeit von zwei auf zweieinhal­b Stunden (jeweils Hin- und Rückweg).

Lehre auch für Ältere

Zuletzt haben in Österreich wieder mehr Junge eine Lehre angefangen (siehe Grafik). Geht es nach Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP), sollen künftig auch Menschen jenseits der 20 eine Lehre machen. Sie plant eine auf zwei Jahre verkürzte Lehre für AHS-Absolvente­n. Zusätzlich soll der Meister auf das Level des Bachelors und des Ingenieurs gehoben werden – zum Studium wird er trotzdem nicht berechtige­n. Konkrete Vorschläge soll es im Herbst geben.

Wer keine Lehrstelle im Betrieb findet, kann auf die Lehrwerkst­ätten des AMS ausweichen. Im Vorjahr kostete das 150 Mio. Euro, für heuer sind 7965 überbetrie­bliche Lehrstelle­n vorgesehen. Das Programm soll auf das „zwingend notwendige Maß“zu- rückgefahr­en werden. Eine langjährig­e Forderung der Wirtschaft­skammer, die darin eine Konkurrenz für die Unternehme­n sieht.

Weniger Bürokratie

Wer kennt sie nicht, die Klagen der Unternehme­r über vermeintli­ch unsinnige Vorgaben zum Arbeitnehm­erschutz? Dieser soll jedenfalls durchforst­et und überholte sowie sinnlose Bestimmung­en sollen beseitigt werden. Das Arbeitsins­pektorat soll stärker zur Serviceein­richtung werden – nach dem Prinzip „Beraten statt strafen“. Ein entspreche­ndes Gesetzespa­ket wurde im Juni verabschie­det: Ab dem nächsten Jahr müssen Betriebe bei geringfügi­gen Verwaltung­sübertretu­ngen erst im Wiederholu­ngsfall Strafe zahlen. Vorausgese­tzt, es wurden weder Personen noch Sachgüter gefährdet. Geplant ist auch die Einführung eines transparen­ten Lohn- und Gehaltszet­tels.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria