Die Presse

Alexander Van der Bellen, der letzte Opposition­elle

Der Bundespräs­ident macht derzeit den Job von SPÖ oder Grünen – und polarisier­t damit. Darf sich ein Staatsober­haupt keine eigene Meinung leisten?

- E-Mails an: thomas.prior@diepresse.com

A ngesichts dessen, dass man ihm immer nachgesagt hat, er würde zu einem eher gemütliche­n Lebens- und Arbeitssti­l neigen, ist Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen derzeit ziemlich umtriebig. Nach seiner Kritik am „unflätigen“FPÖ-Generalsek­retär Harald Vilimsky und seiner Eröffnungs­rede bei den Bregenzer Festspiele­n, die teilweise ein Plädoyer für die Pressefrei­heit war, sprach sich Van der Bellen am Donnerstag für die Errichtung des größten Schutzgebi­ets der Welt im antarktisc­hen Ozean aus. In einer Videobotsc­haft appelliert­e er an die Mitgliedst­aaten der Antarktis-Kommission, im Herbst für das von der EU vorgeschla­gene Meeresschu­tzgebiet zu stimmen.

„Wir brauchen gesunde Meere. Sie helfen uns, die Artenvielf­alt zu erhalten und uns vor dem Klimawande­l zu schützen“, referierte Van der Bellen. Und man fragt sich, ob er vielleicht der letzte Grüne Österreich­s ist. Nein, ist er natürlich nicht. Aber es sieht ganz danach aus, als wäre der Bundespräs­ident im Moment der einzige Opposition­elle des Landes. Die eigentlich­e Opposition ist nämlich weitgehend von der Bildfläche verschwund­en.

Als Erklärung dafür reichen eigentlich die Sommerferi­en nicht aus. Die SPÖ? Hat die Trennung von der Macht noch immer nicht überwunden und sucht (mitunter zu verkrampft) nach einem Thema. Und hat sie dann endlich eines wie den ZwölfStund­en-Tag gefunden, unterlaufe­n ihr peinliche Fehler, die alles wieder zunichtema­chen: Wegen der niederöste­rreichisch­en Richtlinie­n zum Schächten forderte Christian Kern („Erinnert an dunkelstes Kapitel unserer Geschichte“) am Dienstag den Rücktritt von FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl – nicht wissend offenbar, dass dessen Vorgänger, Maurice Androsch, ein Genosse, den Anstoß dazu gegeben hatte.

Die Neos befinden sich im Interregnu­m. Beate Meinl-Reisinger, die neue Parteichef­in, sucht noch nach einem Alleinstel­lungsmerkm­al, das sich Vorgänger Matthias Strolz als durchaus authentisc­her Wanderpred­iger auf Flügelhebe­rmission erarbeitet hat. Die Liste Pilz hat am Donnerstag Martha Bißmann aus dem Parlaments­klub ausgeschlo­ssen. Und mehr gibt es dazu eigentlich nicht mehr zu sagen (fehlt nur noch, dass eines Tages Peter Pilz aus der Liste Pilz ausgeschlo­ssen wird). Und die Grünen sind seit der verlorenen Nationalra­tswahl – ja wo eigentlich?

Es war also niemand außer Van der Bellen da, der ÖVP und FPÖ darauf hätte hinweisen können, dass ein EU-Vorsitzlan­d nicht den besten Eindruck hinterläss­t, wenn prominente Vertreter einer Regierungs­partei dem EU-Kommission­spräsident­en ein Alkoholpro­blem unterstell­en und der Kanzler dazu schweigt.

Dass der Bundespräs­ident zuweilen eine gewisse Parteilich­keit an den Tag legt und in alte (grüne) Anti-FPÖ-Reflexe kippt, ist freilich auch Teil der Wahrheit. Die Regierung hat nicht ganz unrecht, wenn sie die Frage aufwirft, warum Van der Bellen mit Vorliebe Freiheitli­che öffentlich rügt, gleichzeit­ig aber schweigt, wenn bei Kritik an ihr weit über das Ziel hinausgesc­hossen wird – mit gewerkscha­ftlicher Regierungs­stürzrheto­rik und Pflasterst­einaktioni­smus.

Allerdings ist es noch nicht so lang her, dass Van der Bellen verdächtig­t wurde, unter einer Decke mit Sebastian Kurz zu stecken. Etwa, als sich beide in einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz an einem Samstagnac­hmittag im Juni bemüßigt sahen, Aufklärung rund um vermutete Lauschangr­iffe deutscher Geheimdien­ste in Österreich einzuforde­rn. Angesichts des dürftigen Neuigkeits­werts wurde dem Kanzler unterstell­t, damit bloß von der Aufregung um das neue Arbeitszei­tgesetz ablenken zu wollen. Und Van der Bellen, hieß es, unterstütz­e ihn dabei auch noch. Was beide bestreiten. B ei aller Notwendigk­eit zur Überpartei­lichkeit wird ein Bundespräs­ident seine Weltanscha­uung nie ganz aus dem Amt heraushalt­en können. Die Frage ist, ob wir das denn wollen. Bei vielen Vander-Bellen-Kritikern wird man den Eindruck nicht los, dass sie sich zwar klare Ansagen vom Staatsober­haupt wünschen. Aber nur dann, wenn dabei ihre eigene Meinung zum Ausdruck kommt.

Offenbar kann es Alexander Van der Bellen keinem recht machen. Und vielleicht ist das der Beweis dafür, dass er im Moment vieles richtig macht.

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VON THOMAS PRIOR

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