Warum Christian Kern als Redner bei der Volkspartei zu Gast ist
Südtirol. Eigentlich gilt die ÖVP als Schwesterpartei der SVP in Bozen. Der Arbeitnehmerverband lädt aber einen Sozialdemokraten ein, um bei ihrem Wahlkampfauftakt eine Ansprache zu halten: Christian Kern. Das erstaunt zwar Österreicher – die Südtiroler a
Die Südtiroler Volkspartei hatte schon immer ein entspanntes Verhältnis zum politischen Spektrum, einmal abgesehen von den Extremen: Bei den italienischen Parlamentswahlen tritt sie regelmäßig im Mittelinks-Bündnis an, bei dem es die größte Unterstützung für Minderheitenrechte gibt. Auf europäischer Ebene fühlt sie sich hingegen eher bei den anderen, konservativeren Volksparteien zu Hause. In Österreich, der Schutzmacht, gibt es besonders enge Kontakte zur ÖVP. So gesehen könnte die Gästeliste bei einem SVP-Wahlkampfauftakt etwas irritieren: Heute, Freitag, stellt der Arbeitnehmerverband der Partei seine Kandidaten für die Landtagswahl am 21. Oktober auf. Der Hauptredner reist aus Wien an – und zwar aus der Löwelstraße: SPÖ-Chef Christian Kern.
Er will zum Thema „Sozialdemokratie mit Blick auf die europäische Entwicklung“referieren. „Wenig überraschend werden wir auch Nationalismus und Grenzen ansprechen“, heißt es aus Kerns Büro zur „Presse“. „Und auch den Zwölf-Stunden-Tag.“Es ist also klar, an wen Kerns Botschaft – abgesehen von den SVP-Funktionären – gerichtet ist. Sie soll auch nördlich des Brenners ankommen, im ÖVP-geführten Bundeskanzleramt. 40 Minuten hat Kern dafür Zeit, danach wird Landeshauptmann Arno Kompatscher für zehn Minuten eine Ansprache halten.
„Das sind unsere Roten“
Ist diese Einladungspolitik Provokation? Oder ein Zeichen für schlechte Stimmung innerhalb der beiden Volksparteien? „Nein, in keinster Weise“, sagt Kompatschers Sprecherin. „Für uns ist es die normalste Sache der Welt.“In der SVP seien „mehrere Seelen vereint“. Mit dem Arbeitnehmerverband eben auch eine sozialdemokratische. „Das sind unsere Roten“, heißt es. Die Farbenlehre der österreichischen Innenpolitik gelte eben nicht für Südtirol.
Das hat mehrere Gründe, der wichtigste dürfte aber sein: Die SVP versteht sich als Sammelpartei für die deutschsprachige und ladinische Minderheit in Italien. Sie will also alle Interessen bündeln, um stärker gegen die italienische Regierung aufzutreten. In der Vergangenheit gab es einige Versuche, eine deutschsprachige sozialdemokratische Partei zu gründen. Sie scheiterten allerdings. Es gibt sie ja sozusagen schon, im Arbeitnehmerflügel der SVP. Der Partito Democratico, die Sozialdemokraten Italiens, hat allerdings sehr wohl einen Ableger in Bozen. Die Partei wird allerdings großteils von der italienischsprachigen Bevölkerung in Südtirol gewählt. Die Hauptkonkurrenz für die SVP kommt aus einer anderen Richtung, nämlich von rechts. Gleich zwei Parteien sitzen im Landtag, die besonders mit der FPÖ in Österreich Kontakte pflegen: Die Freiheitlichen, die zweitstärkste Kraft im Landtag. Und die weniger erfolgreiche Süd-Tiroler Freiheit (der Bindestrich ist bewusst gesetzt). Beide Parteien fordern, in unterschiedlichen Abstufungen, „los von Rom“.
Im Wahlkampf wollen sie sich auf das Thema Migration und Asyl konzentrieren, das in Südtirol allerdings eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt. Auch die Autonomie das Landes, ein Aufbegehren gegen die italienische Regierung, nutzen sie für ihre Kampagnen. Für die SVP kommen also die Forderungen aus Rom, Wien und München, am Brenner im Ernstfall massive Grenzkontrollen einzuführen, so gar nicht gelegen. Die österreichische Regierung hat sich auch mit einer anderen Forderung eher unbeliebt gemacht: Die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler könnte zu einer Spaltung innerhalb der Bevölkerung führen, befürchten viele in der Volkspartei. Die Pläne liegen nun auf Eis – bis nach der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs. Und dem Südtiroler Wahltag.