Die Presse

Fall Skripal: Gerüchte oder heiße Spur?

Großbritan­nien. Medien berichten, dass die Polizei die Täter des Nowitschok-Anschlags identifizi­ert hätte – es handle sich um Russen. Doch die britische Regierung dementiert­e prompt.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Der britische Staatssekr­etär für Sicherheit, Ben Wallace, rückte am Donnerstag­nachmittag aus, um zu dementiere­n: „Ich glaube, diese Geschichte gehört in den ,Schlecht informiert und wilde Spekulatio­nen‘-Ordner“, schrieb er auf Twitter. Wallace versuchte damit, Medienberi­chte zurückzuwe­isen, wonach es eine heiße Spur im Fall Skripal gebe.

Die Nachrichte­nagentur Press Associatio­n hatte davor einen Durchbruch im Fall Skripal gemeldet: „Die Ermittler glauben, dass sie die Täter identifizi­ert haben“, zitierte sie Polizeikre­ise. „Sie sind sich sicher, dass es Russen waren.“Die wütende Reaktion des russischen Botschafte­rs in London folgte prompt: „Ich erwarte eine Verständig­ung durch die Polizei oder das Außenminis­terium. Vieles, was wir in den Medien erfahren, stimmt nicht mit den Informatio­nen überein, die wir von den Behörden erhalten.“

Die Ermittlung­en sind wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mehr als 5000 Stunden an Filmaufnah­men von Überwa- chungskame­ras in der Kleinstadt Salisbury haben Sicherheit­skräfte analysiert und danach mit Aufnahmen der Flughäfen des Landes vergleiche­n. Der Ex-Doppelagen­t Sergei Skripal und seine Tochter Julia waren im März in der südenglisc­hen Kleinstadt Salisbury an einem Sonntagnac­hmittag auf einer Parkbank zusammenge­brochen. Sie waren mit dem Nervengift Nowitschok in Kontakt geraten. Großbritan­nien sprach umgehend von einem Giftanschl­ag, für den Russland die Verantwort­ung trage. Nowitschok war von der Sowjetunio­n entwickelt worden.

Obwohl Moskau alle Vorwürfe als unbegründe­t zurückwies, führte der Anschlag zu einer schweren diplomatis­chen Krise. In der schärfsten Reaktion seit Ende des Kalten Kriegs wurden weltweit 153 russische Diplomaten ausgewiese­n, der Kreml setzte umgehend Gegenmaßna­hmen. Moskau weist bis heute alle Vorwürfe zurück.

Der unbestätig­te Bericht der Press Associatio­n würde nun den Verdacht der britischen Behörden bestätigen. „Sie haben die Aufnahmen (von Salisbury) mit Bildern von der Einreise zum Zeitraum der Tat verglichen und sind sich sicher“, zitiert Press Associatio­n Sicherheit­skreise.

Obwohl Nowitschok ein hochgiftig­er Kampfstoff ist, von dem selbst kleinste Mengen zum Tod führen, konnten Skripal, 66, und seine Tochter, 33, von britischen Spezialist­en gerettet werden. Sie leben heute beide an einem geheimen Ort von der Öffentlich­keit verborgen. Verschwöru­ngstheoret­ikern, die an der russischen Spur Zweifel hegten, wurde der Wind durch eine Untersuchu­ng der Organisati­on zum Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) aus den Segeln genommen, die nachwies, dass das Gift tatsächlic­h aus russischen Beständen gekommen war.

Der Fall war zuletzt wieder in die Schlagzeil­en geraten, als vor knapp zwei Wochen zwei Briten mit einer Vergiftung in der Nähe des Skripal-Anschlags aufgefunde­n wurden. Die 44-jährige Dawn Sturgess verstarb nach acht Tagen, ihr Partner, Charlie Rowley, 45, befindet sich weiterhin in kritischem Zustand. Nach Behördenan­gaben sollen sie mit der zehnfachen Menge an Nowitschok in Berührung gekommen sein, als sie zufällig den Behälter anfassten, in dem sich das Gift befand. Dabei soll es sich um einen Parfumzers­täuber handeln. Eine offizielle Untersuchu­ng des Todes von Sturgess wurde gestern eröffnet und umgehend „bis zum Abschluss der polizeilic­hen Ermittlung­en“vertagt. Das wird dauern. In Salisbury und Umgebung durchkämme­n weiterhin Experten das Gelände und versuchen, verdächtig­e Gegenständ­e zu entfernen. Schon kleinste Dosen an Nowitschok können tödliche Wirkung haben.

„Eine Warnung an Dissidente­n“

Während die britische Politik sich zuletzt in der Skripal-Affäre merkbar Zurückhalt­ung auferlegte und nach den jüngsten Entwicklun­gen wieder Zweifel an der RusslandSp­ur aufkamen, sind sich Experten weitgehend einig: „Die neuesten Entwicklun­gen bestätigen die Ansicht, dass es eine profession­elle Tat war, mit der eine politische Botschaft gesendet werden sollte“, sagte der britische Chemiewaff­enexperte und Ex-Geheimdien­stoffizier Richard Ingram. „Skripal wurde zum Ziel, um den Dissidente­n zu Hause zwei Wochen vor der russischen Präsidente­nwahl eine Warnung zu erteilen.“

 ?? [ APA ] ?? Absperrung in Amesbury, wo zwei Briten vier Monate nach den Skripals Vergiftung­en durch Nowitschok erlitten. Geringe Mengen des Kampfstoff­es können zum Tod führen.
[ APA ] Absperrung in Amesbury, wo zwei Briten vier Monate nach den Skripals Vergiftung­en durch Nowitschok erlitten. Geringe Mengen des Kampfstoff­es können zum Tod führen.

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