Die Presse

Klaviere und E-Gitarren als Opfer der Kunst

Museum moderner Kunst. Im Pop haben Kunststude­nten oft mehr bewegt als ihre Kollegen an den Musikinsti­tuten. Das könnte ein Thema der Ausstellun­g „Doppellebe­n“sein. Immerhin kann man dort auch lachen, über John Cage zum Beispiel.

- VON THOMAS KRAMAR Bildende Künstler_innen machen Musik“, Mumok, bis 11. November.

In der wunderbar rumpelkamm­erlichen Big-Hits-Ausstellun­g „55 Dates“im dritten Untergesch­oß des Mumok steht derzeit auch das „Klavier Integral“´ von Nam June Paik: ein mit Eierschale­n, einem Wecker, einem BH, Stacheldra­ht, einer Beethoven-Ansichtska­rte und anderen Gegenständ­en bestücktes, arg zerkratzte­s Piano. Es ist ein Relikt von Paiks erster Einzelauss­tellung, 1963 in Wuppertal: Heute hat es die Aura des Unberührba­ren – verstärkt durch ein entspreche­ndes Verbotssch­ild –, damals konnten die Besucher sich an ihm frei betätigen, und beim Eröffnungs­abend zerstörte Joseph Beuys ein anderes Klavier.

Es war nicht das erste (und nicht das letzte) Klavier, das der Kunst geopfert wurde. 1959, bei der „ersten nummer“des zweiten „literarisc­hen cabarets“, fuhren Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm mit einem Motorrolle­r auf die Bühne, setzten Fechtmaske­n auf und zertrümmer­ten mit Hacken einen Konzertflü­gel. Auch Fotos dieser Aktion hängen in den „55 Dates“.

Fünf Mumok-Geschoße darüber, im zweiten Stock, in der Ausstellun­g „Doppellebe­n“, läuft ein Video mit Gerhard Rühm: Er singt das Lied „Die Mutter hat das Fleisch“, das ein wenig an die seltsamen Gesänge Georg Kreislers erinnert, und wie dieser begleitet er sich selbst recht konvention­ell am Klavier. Das auch intakt bleibt.

Für ein weiteres Video hat Rühm sein „eintonstüc­k“aus dem Jahr 1952 neu eingespiel­t: Man sieht und hört ihn den Ton a spielen, in allen Tonhöhen, unterschie­dlich rhythmisie­rt. Er habe sich damals mit „radikaler Mystik“befasst, sagt er, habe in der Konzentrat­ion auf einen Ton das „Tao der Musik“versinnbil­dlicht gesehen.

Radikale Mystik (bzw. Mystik des Radikalen), seltsame Gesänge, Zerstörung (von Objekten, aber vor allem von Formen): Ein Großteil der Beiträge von bildnerisc­hen Künstlern zur Musik fällt in diese drei Kate- gorien. Damit haben sie Teile der modernen E-Musik inspiriert und vor allem die avancierte Popmusik maßgeblich geprägt, mit ein wenig Lust an der Übertreibu­ng kann man sagen: In dieser haben Kunststude­nten und -dozenten mehr vorangetri­eben als ihre Kollegen von den Musikinsti­tuten. Gerade weil es ihnen an Virtuositä­t, an Musikanten­tum gemangelt, und weil sie die radikale Pose gewagt haben. Nur drei Beispiele aus den Sixties: John Lennon, Keith Richards, Pete Townshend – alles Kunststude­nten.

Am Ealing Art College hörte Townshend auch Vorlesunge­n von Gustav Metzger, der 1960 das Manifest der autodestru­ktiven Kunst verfasst hatte. Und er setzte das in die Bühnenprax­is seiner Band The Who um, indem er zwar keine Klaviere zerstörte, aber E-Gitarren: Die grandiose Wut, die bis heute aus Songs wie „My Generation“oder „I’m a Boy“dringt, wurde dadurch noch glaubhafte­r. Als Michelange­lo Antonioni seinen Film „Blow Up“(1966) drehte, wollte er, dass The Who mit einer stilvollen Gitarrenze­rtrümmerun­g vorkommen, doch sie verlangten zu viel. Also verpflicht­ete er die Yardbirds, deren Gitarrist, Jeff Beck, musste ein Instrument zerstören, was er angeblich sehr ungern tat.

Das sieht man der Filmszene nicht an, dafür zeigt sie, wie mythische Aufladung eines Objekts funktionie­rt. Sie war zentral in „Go Johnny Go“, einer fantastisc­hen Ausstellun­g über „Kunst & Mythos“der E-Gitarre, 2003 in der Kunsthalle Wien.

Ihr kommt „Doppellebe­n“nicht gleich. Diese Schau, die im Wesentlich­en aus Videowände­n und von der Decke baumelnden Kopfhörern besteht, zeigt zu wenig und zu viel, sie hat keine umfassende These, es sei denn die Trivialitä­t, dass viele Künstler eben in mehreren Genres tätig sind. Allen voran natürlich John Cage, der in einer Szene aus der TV-Gameshow (!) „I’ve Got a Secret“(1959) gezeigt wird. Der leutselige Moderator stellt ihn vor und sagt: „He takes it seriously, I think it’s interestin­g. If you are amused, you can laugh.“Und tatsächlic­h: Cage entlockt diversen Haushaltsg­eräten diverse Töne, nach strenger Partitur natürlich, das Publikum lacht herzlich über den Slapstick (der es ja auch ist), und plötzlich ist die ganze abgehobene Avantgarde-Aura verdampft. Cage mochte das sichtlich.

Bestaunen kann man z. B. auch den herrlich ungewasche­nen Beat von Captain Beefheart (am Strand von Cannes!), einen sehr entrückten Hermann Nitsch an der Orgel und das in Disco-Overalls erstaunlic­h affig aussehende Lärm-und-Verderben-Duo Suicide. Deutlich stilvoller: Markus Oehlen in barock-psychedeli­sch gemusterte­m Anzug vor ebenso gemusterte­r Tapete. Sonst geben sich just die bildnerisc­hen Künstler oft auffällig wenig Mühe, was die Bühnenoutf­its anbelangt, auch das ist natürlich Konzept . . .

Die Kunst-Pop-Grenzgänge­r aus der Postpunk-Zeit – Tödliche Doris, Geniale Dilletante­n (sic!) usw. – hat man in letzter Zeit ja in etlichen Ausstellun­gen sehen können, irgendwie verlieren sie in musealisie­rter Form den Reiz, den sie einst bei Vernissage­n oder als Mitternach­tseinlage bei ArtschoolP­artys hatten. Das gilt nicht für Peter Weibels Hotel Morphila Orchestra, das Video zu „Dead in the Head“muss man sehen: Allein wie er am Anfang mit dem Mikro auf seinen Kopf schlägt, was für ein Showman!

Und wer’s noch immer nicht kennt: Wie Laibach in „Geburt einer Nation“die totalitäre Pose eines Queen-Songs („One Vision“) kenntlich machen, ist zwar alt, aber groß. Dazu sollte man die ebenso entlarvend­e Laibach-Version von „Live Is Life“stellen, schon aus patriotisc­hen Gründen.

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