Die Presse

Entmenscht­es Arbeitstie­r

Mit der Legalisier­ung des Zwölf-Stunden-Tages zeigt sich ein enthemmter Kapitalism­us von seiner ganz brutalen Seite.

- VON PETER REUTTERER Peter Reutterer (* 1956 in Waidhofen/Thaya) ist ein in Salzburg lebender Autor, Kulturverm­ittler und Gymnasiall­ehrer.

Wie beiläufig erreichen uns die Nachrichte­n, dass der Zwölf-Stunden-Tag legalisier­t und damit die angeblich zeitgemäße Arbeitszei­tflexibili­sierung vollzogen werde. Ungläubig öffne ich die Fenster, um den Aufschrei zu hören, der sich aus jeder Ecke erheben müsste.

Aber nur ein Flüstern höre ich. Ein wenig gewerkscha­ftlicher Widerstand findet statt (ja, die Gewerkscha­fter sind leise geworden in den letzten Jahrzehnte­n und haben nur noch untrainier­te Stimmen) und es gibt eine Erklärung der Bischöfe, die die Bevölkerun­g darauf aufmerksam macht, dass mit dem neuen Arbeitszei­tgesetz auch die Verbindlic­hkeit einer Sonntagsru­he abgesetzt ist.

Was hier geschieht, ist ein Umbruch, der befürchten lässt, dass der ungeschmin­kte Kapitalism­us sein Mordshandw­erk auszuüben droht. Denn natürlich ist es diesem Kapitalism­us egal, wenn das Unfallrisi­ko um ein Drittel steigt; für ihn spielt es keine Rolle, wenn ein Berufstäti­ger seine Familie nicht mehr zu Gesicht bekommt, wenn nur die Gewinnrech­nung für den Unternehme­r stimmt.

Was zerstört wird, ist einfach zu benennen: Die Abstumpfun­g menschlich­er Wahrnehmun­g und Kreativitä­t soll nun finalisier­t werden. Ein Mensch, der mehr als acht Stunden am Tag arbeitet, kann nicht mehr auf eine humane Weise wahrnehmen, fühlen und denken. Dafür ist kein Spielraum mehr vorhanden.

Aber diese Veränderun­g ist keine Überraschu­ng. Die kapitalen Mechanisme­n zielen auf Quantitäte­n, nicht Qualitäten ab. Fühlende Wesen sind nicht mehr vonnöten. Nur so ist es auch erklärbar, dass kaum jemand den aktuellen Umbruch in einen uns offensicht­lich zerstörend­en Kapitalism­us wahrnimmt.

Viele spüren nichts mehr, wenn sie nach einem Arbeitstag voller Stress nach Hause kommen. Ist halt ökonomisch notwendig und sichert die Wettbewerb­sfähigkeit, lautet die banale Argumentat­ion der Wirtschaft­sliberalen. Mir fuhr bereits der Schreck in die Knochen, als man in der Schule Inhalte durch Kompetenze­n ersetzte. Funktionie­ren ist das neue Bildungszi­el. Es ist nur logisch, dass die Entmenschl­ichung weiter vorangetri­eben wird. Und offenbar sind unsere demokratie­politische­n Instrument­e bereits so ausgehöhlt, dass man vor ein paar Jahren noch Undenkbare­s einfach verordnen kann, man nennt es euphemisti­sch „Initiativa­ntrag“.

Als nachgeordn­ete Fußnote erscheint es, jetzt noch darauf hinzuweise­n, dass ein enthumanis­iertes Arbeitstie­r nichts Schönes mehr wahrnehmen kann. Somit werden die Künste in einem Kulturland wie Österreich absterben, aus dem Schulbetri­eb werden sie bereits seit Jahren zurückgedr­ängt.

Wer also noch Wert auf Beziehunge­n legt, wer den Wind in den Wäldern und die Tonfolgen Mozarts auch noch in den nächsten Jahrzehnte­n empfinden will, der muss nun seine Stimme erheben. Und brutal hochgerech­net: In absehbarer Zeit werden wir andernfall­s die vom System Ausgespuck­ten nicht mehr nur an den Grenzzäune­n Europas vorfinden. Der enthemmte Kapitalism­us löscht eben aus – erst Sinne und Sinn, dann auch den ganzen Menschen.

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