Die Presse

Israel wird jüdischer Nationalst­aat

Verfassung. Die neue Definition des Judenstaat­s löst heftige Debatten aus. Auch Staatspräs­ident Rivlin distanzier­te sich.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Das israelisch­e Parlament hat ein umstritten­es Gesetz verabschie­det, das den jüdischen Charakter des Landes stärken soll. Es definiert Israel als Nationalst­aat für jüdische Menschen und historisch­es jüdisches Heimatland. Hebräisch ist offizielle Nationalsp­rache, die bisherige Amtssprach­e Arabisch bekommt lediglich einen Sonderstat­us. Der Status Jerusalems als Israels Hauptstadt wird bekräftigt.

Die mit 62 zu 55 Stimmen angenommen­e Vorlage ist heftig umstritten: Kritiker fürchten eine Diskrimini­erung nicht jüdischer Bürger. Die arabische Minderheit macht etwa 17,5 Prozent der israelisch­en Bevölkerun­g aus. Eine Reihe von Opposition­sparteien kritisiert­e das neue Gesetz. Der Fraktionsc­hef der arabischen Einheitsli­ste, Aiman Odeh, verurteilt­e das Gesetz als „den Tod unserer Demokratie“.

In Israel wird es künftig offiziell möglich sein, rein jüdische oder arabische Ortschafte­n zu gründen. Die Knesset ratifizier­te in der Nacht auf Donnerstag mit 62 zu 55 Stimmen das umstritten­e Nationalst­aatsgesetz mit dem Ziel, den „Charakter Israels als nationales Heim des jüdischen Volkes“zu festigen. Das Rückkehrre­cht für Juden aus aller Welt, nationale Symbole, jüdische Feiertage und Hebräisch als einzige offizielle Landesspra­che gehören dazu. Bisher war Arabisch ebenfalls als Landesspra­che anerkannt. Der exakte Status des Arabischen soll nun noch geregelt werden.

„Das Nationalst­aatsgesetz ist zweifellos der Tiefpunkt der chronische­n Krankheit, die die Demokratie plagt“, meinte der arabische Abgeordnet­e Ahmad Tibi. Ab sofort gebe es zwei Gruppen von Bürgern: „eine Gruppe der Juden, die Rechte hat, und eine andere der tolerierte­n Gäste“. Er fragte weiter, was das denn sei, wenn das kein Rassismus sei. Tibi repräsenti­ert die arabischen Staatsbürg­er Israels, die knapp 20 Prozent ausmachen.

Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzrefo­rm auf den Tel Aviver Jitzhak-RabinPlatz gezogen. „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“, hieß es auf ihren Plakaten. „Das ist das Heim von uns allen.“Auch Präsident Reuven Rivlin distanzier­te sich auf für sein Amt ungewöhnli­ch scharfe Weise von dem Gesetz, das „dem jüdischen Volk in der Welt und in Israel“schaden könne.

Entwicklun­g „jüdischer Ortschafte­n“

Seit Wochen kontrovers diskutiert wurde vor allem der Artikel 7 des Gesetzentw­urfs, der die ethnisch und religiöse Homogenitä­t von Dörfern und Städten regelt. Dazu gehört auch der Grad der Religiosit­ät. Konkret ändert das neue Gesetz wenig. Ethnisch und religiös homogene Ortschafte­n sind seit Staatsgrün­dung Praxis in Israel. Vor allem die sozialisti­schen Kibbuzim haben über die Jahrzehnte nicht nur keine Araber aufgenomme­n, sondern auch keine religiösen Juden. Umgekehrt sind zahlreiche arabische Dörfer ethnisch und religiös strikt homogen bevölkert, wobei sich der Wunsch der Juden Is- raels, in arabischen Ortschafte­n zu leben, nicht zuletzt aufgrund der sozioökono­mischen Benachteil­igung der Minderheit in Grenzen hält. Das neue Grundgeset­z hebt allerdings speziell die Entwicklun­g „jüdischer Ortschafte­n“hervor. Diese seien von „nationalem Wert“. Der Staat werde die Gründung und Entwicklun­g solcher Ortschafte­n ermutigen und unterstütz­en.

Kritik von Ex-Außenminis­terin Livni

Der Likud-Abgeordnet­e Amir Ohana, Befürworte­r des neuen Gesetzes, sprach sich in der Knesset für den Erhalt des jüdischen Charakters von Israel aus. „Wir haben nicht, wie die arabische Nation, 21 Staaten, sondern nur diesen einen einzigen, kleinen Staat.“Nicht der konservati­ve Likud brachte die Gesetzesin­itiative vor zehn Jahren ein, sondern sie kam aus den Reihen der liberalere­n Kadima, damals unter Führung von Tzipi Livni, die inzwischen zu den schärfsten Kritikerin­nen zählt.

„Die Regierung steuert auf ein radikales Judentum zu, das in Stämmen lebt“, meinte ExAußenmin­isterin Livni im Vorfeld des Votums. Das Gesetz ziele darauf ab, dass „Araber nicht zusammen mit Juden leben können“. Es sei Wasser auf die Mühlen jener Bewegung, die internatio­nal zum Boykott von Israel und zu Sanktionen aufruft.

Auch das Israelisch­e Demokratie­zentrum (IDI) kritisiert­e das Grundgeset­z, das Israels Unabhängig­keitserklä­rung und damit das Festhalten an gleichen Rechten für alle Staatsbürg­er ignoriere. Israel, so erinnert das IDI, gehöre zu den „wenigen Staaten der demokratis­chen Welt ohne eine Verfassung, die die Grundrecht­e festhält“. Die Tatsache, dass das neue Gesetz Israel als nationales Heim des jüdischen Volkes definiert, ohne das Prinzip der Gleichbere­chtigung für alle Bürger festzuhalt­en, könnte „zu einer Unausgewog­enheit zwischen dem jüdischen Staat und seinen demokratis­chen Werten führen“.

Jussef Dschabarin von der antizionis­tischen Vereinten Liste fühlt sich degradiert – „von einem Bürger zweiter Klasse zu einem dritter Klasse“. Seine Parteichef, Aiman Auda, zeigte während der Debatte eine schwarze Flagge. Er wandte sich auf Arabisch an seine Kinder: „Dieser Staat ist nicht euer Staat.“„Aber“, sagte er, „das ist unsere Heimat.“

Wir haben nicht, wie die arabische Nation, 21 Staaten, sondern nur diesen einen einzigen, kleinen Staat. Amir Ohana (Likud)

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