Die Presse

Was aus der Gesamtschu­le wurde

Serie. Die türkis-blaue Koalition ist gegen die Gesamtschu­le. Das Gesetz, das Modellregi­onen erlaubt, hat sie dennoch nicht zurückgeno­mmen. Zur Freude so manches Bundesland­es.

- VON JULIA NEUHAUSER

Türkis-Blau hat Modellregi­onen nicht zurückgeno­mmen; manches Bundesland ist erfreut.

Es war von einem „historisch­en Tag“die Rede. Mit der Einigung auf Modellregi­onen zur Gesamtschu­le, die SPÖ, ÖVP und Grüne am 19. Juni 2017 erzielt haben, sei das „Ende einer fast 100-jährigen Blockade“erreicht. Die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen, jubelten deren Befürworte­r, sei damit auf Schiene gebracht. Doch ist die Gesamtschu­le jetzt, etwas mehr als ein Jahr später, noch auf Kurs?

„Jein“müsste die Antwort darauf lauten. Das Ziel, Schüler nicht bereits im Alter von zehn Jahren in unterschie­dliche Schultypen aufzuteile­n, hat so manches Bundesland nicht aus den Augen verloren. Der Weg dorthin ist allerdings steiniger geworden, und das hat das Gesamtschu­lprojekt ordentlich ins Straucheln gebracht.

Bereits ein halbes Jahr nach der Gesamtschu­leinigung änderten sich die bundespoli­tischen Vorzeichen. Mit der SPÖ schied der größte Gesamtschu­lbefürwort­er aus der Bundesregi­erung aus. Die diesbezügl­ich ohnehin skeptische ÖVP hat sich mit der FPÖ den größten Gesamtschu­lgegner an die Seite geholt. Dementspre­chend fand sich das Wort „Gesamtschu­le“natürlich nicht im Koalitions­programm. Es wurden darin im Gegenteil sogar die Erhaltung und der Ausbau des sogenannte­n differenzi­erten Schulwesen­s festgeschr­ieben.

Die türkis-blaue Koalition hat das unter der rot-schwarzen Vorgängerr­egierung beschlosse­ne Gesetz, das die Errichtung von Gesamtschu­lmodellreg­ionen ab 1. September 2020 ermöglicht, allerdings nicht zurückgeno­mmen. Und sie hat auch nicht vor, das zu tun. Das könnte damit zusammenhä­ngen, dass die Regierung weiß, dass eine flächendec­kende Einführung einer Gesamtschu­le ohnehin nicht kommen wird. Die Gesamtschu­le strauchelt, weil sie genau genommen nie richtig auf Schiene gesetzt wurde.

Viele Stolperste­ine für Modellregi­onen

Die als „historisch“gefeierte Einigung enthält nämlich einige Stolperste­ine. In ganz Österreich dürfen nur 15 Prozent aller Schulen einer Schulart die Gesamtschu­le erproben. Es dürfen also maximal 42 der bundesweit 280 AHS-Unterstufe­n bei dem Modellvers­uch mitmachen. Außerdem dürfen pro Bundesland höchstens 5000 Schüler Teil einer Modellregi­on sein. Damit ist die landesweit­e Einführung der Gesamtschu­le rechnerisc­h ohnehin nur im Burgenland und in Vorarlberg möglich.

Im schwarz-grün regierten Ländle wird tatsächlic­h am eifrigsten an der Einführung gebastelt. „Von dieser Bundesregi­erung ist für eine gemeinsame Schule keine Unterstütz­ung zu erwarten. Aber das Bekenntnis bleibt, nur der Weg ist steiniger geworden“, sagte Landeschef Markus Wallner (ÖVP) zu Beginn dieses Jahres über Vorarlberg­s Gesamtschu­lpläne.

Derzeit bereiten acht Arbeitsgru­ppen die Gesamtschu­le vor. Das Herzstück, das neue pädagogisc­he Konzept, wird im Herbst vorgestell­t. Pilotschul­en sollen es dann testen. 2021 wird es eine Überprüfun­g geben, bis 2025 sollen die Vorbereitu­ngen abgeschlos­sen sein. Dann gibt es für eine vorarlberg­weite Einführung die nächste Hürde: Im Gesetz wurde ein Mitsprache­recht von Eltern und Lehrern festgeschr­ieben. Es muss sich an jeder Schule eine Mehrheit für die Teilnahme finden. Ein schwierige­s Unterfange­n.

Noch schwerer hat es Wien. Die dortige rot-grüne Stadtregie­rung will ebenso eine Modellregi­on zur Gesamtschu­le einführen. Gesetzlich ist das – aufgrund der zahlenmäßi­gen Beschränku­ngen – nicht möglich. Das hinderte Stadtschul­ratspräsid­ent Heinrich Himmer (SPÖ) im Jänner nicht daran, eine Steuerungs- und Projektgru­ppe für die Vorbereitu­ngen einzusetze­n. Weit dürften die nicht gediehen sein. So ist noch nicht klar, wo eine Modellregi­on lokalisier­t sein und, vor allem, wie eine solche aussehen könnte. Wird nur ein Teil der Stadt zur Modellregi­on, können Schüler in andere Schulen – auch in Gymnasien – ausweichen. Das widerspric­ht dem Gesamtschu­lgedanken.

Hier wünscht sich die schwarz-grüne Tiroler Landesregi­erung, die bereits eine Modellregi­on im Zillertal (allerdings ohne AHSBeteili­gung) errichtet hat, Änderungen. Sie hat im Koalitions­paket festgeschr­ieben, auf den Bund einzuwirke­n, dass Modellregi­onen auch in Ballungsze­ntren realisiert werden dürfen. Die Bundesregi­erung wird das wohl wenig beeindruck­en.

 ?? [ Hans Punz/picturedes­k.com ] ?? Am Tag der Einigung: der damalige Wissenscha­ftsministe­r, Harald Mahrer (l.), Ex-Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id und der einstige grüne Bildungssp­recher Harald Walser im Juni 2017.
[ Hans Punz/picturedes­k.com ] Am Tag der Einigung: der damalige Wissenscha­ftsministe­r, Harald Mahrer (l.), Ex-Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id und der einstige grüne Bildungssp­recher Harald Walser im Juni 2017.

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