Die Presse

„Tor gegen den Faschismus“

Türkei. Regierung und Medien gratuliere­n Özil zum Ausscheide­n aus dem deutschen Team. Abgeordnet­e beklagen: „Integratio­n hat verloren.“

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

In der Türkei werden Mesut Özils Austritt aus der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft und die Diskussion um ihn als Rückschlag für die Integratio­n von Türken in Deutschlan­d gesehen. Özil habe mit seiner Kritik an der Haltung deutscher Politiker und Verbandsfu­nktionäre „meiner und seiner Generation aus der Seele gesprochen“, sagte der in Deutschlan­d aufgewachs­ene türkische Parlaments­abgeordnet­e Mustafa Yeneroglu˘ (AKP) in Istanbul zur „Presse“: „Trotz 92 Länderspie­len immer noch Bürger auf Bewährung? Das geht nicht.“Auch der ehemalige SPD-Europaabge­ordnete Ozan Ceyhun kritisiert­e die Attacken auf Özil: „Die Integratio­n hat verloren.“

Özil ist in der Vergangenh­eit in der Türkei wegen seiner Entscheidu­ng für die deutsche Nationalma­nnschaft zeitweise angefeinde­t worden. Bei Spielen Deutschlan­ds gegen die Türkei wurde er von türkischen Fans mitunter ausgepfiff­en. Zuletzt aber hätten viele Türken bei der WM in Russland we- gen Özil den Deutschen die Daumen gedrückt, sagt Ceyhun zur „Presse“. „Özil war ein tolles Vorbild“für Türken in Deutschlan­d, sagt er. „Er war der Beweis, dass man etwas werden kann und anerkannt wird – doch man sieht, es ist nicht so einfach. Jetzt haben wir dieses Vorbild verloren.“

„Zwischen Nationalis­ten beider Länder“

Türkische Medien und Regierungs­vertreter signalisie­rten Unterstütz­ung für den Profi von Arsenal London. „Mesut, wir sind stolz auf dich“, titelte die Zeitung „Türkiye“in deutscher Sprache. Justizmini­ster Abdulhamit Gül beschrieb den Austritt des Nationalsp­ielers als „schönstes Tor gegen den Virus des Faschismus“. Özils Aussage, dass er nach wie vor zum umstritten­en Erdogan-˘ Foto steht, wurde ihm in türkischen Medien hoch angerechne­t. Damit treffen sich gewisserma­ßen rechtspopu­listische Kritiker Özils in Deutschlan­d mit türkischen Rechtspopu­listen – beide Seiten sind überzeugt: Einmal Türke, immer Türke. Özil stehe zwischen den Nationalis­ten beider Länder, kommentier­te die linke Tageszeitu­ng „Evrensel“.

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