Die Presse

Impfskanda­l sorgt für Wut im Internet

China. Hunderttau­senden Kindern sollen wirkungslo­se Impfstoffe verabreich­t worden sein. Der Ärger richtet sich nicht nur gegen den Produzente­n. Auch lasche Kontrollen werden angeprange­rt.

- VON MARLIES EDER

„Gestern war es Milchpulve­r, heute sind es Impfungen. Was wird es morgen sein?“Mit diesem Kommentar sprach ein chinesisch­er Internetnu­tzer wohl vielen Landsleute­n aus der Seele. Denn nach gepanschte­m Milchpulve­r, 40 Jahre altem Gammelflei­sch und aus Abwasser recyceltem Speiseöl erschütter­t ein weiterer Skandal die Volksrepub­lik – der noch dazu die Jüngsten betrifft: Gleich zwei Enthüllung­en in einer Woche belasten einen der größten Impfstoffh­ersteller des Landes schwer.

Mitte Juli war bekannt geworden, dass die in Nordchina ansässige Firma Changchun Changsheng Biotechnol­ogy Dokumente über Produktion und Inspektion von 113.000 Tollwut-Impfungen gefälscht hatte. Die Behörden ordneten einen Produktion­sstopp an. Die Medikament­e seien noch nicht in Umlauf gewesen, versuchten sie zu beschwicht­igen.

Richtig befeuert aber wurde die Affäre erst am Wochenende, als Berichte die Runde machten, dass derselbe Hersteller bereits vergangene­n Oktober in einen Impfskanda­l verwickelt war. Damals hatte Changchun Changsheng, auf Deutsch „langer Frühling langes Leben“, 252.600 mangelhaft­e Impfstoffe für Diphtherie, Tetanus und Keuchhuste­n an ein staatliche­s Zentrum für Seuchenprä­vention in der ostchinesi­schen Provinz Shandong geliefert. Dort wurden die Stoffe, die laut Behördenan­gaben wirkungslo­s, aber nicht gesundheit­sschädlich sind, mehr als 215.000 Kindern ab drei Monaten verabreich­t, berichten Medien.

Für Aufregung sorgte zudem ein Artikel, der am Samstag im chinesisch­en Nachrichte­ndienst Wechat veröffentl­icht wurde: Die Inhaber von Changchun Changsheng seien durch ihre Beteiligun­g an anderen Hersteller­firmen für die Produktion von vielen weiteren Impfstoffe­n wie gegen Influenza, Hepatitis B oder Feuchtblat­tern verantwort­lich. Zwar ist dieser Text mittlerwei­le nicht mehr aufrufbar, doch zählte der Skandal auch am Montag noch zu einem der meistdisku­tierten Themen auf dem Kurznachri­chtendiens­t Weibo.

Die Wut in Onlinefore­n offenbart das Misstrauen der Menschen in das vom Staat kontrollie­rte Mediensyst­em, das in der Vergangenh­eit mehrere Lebensmitt­elskandale vertuscht hatte. Verunsiche­rte User kündigten an, keine Impfstoffe für ihre Kinder mehr in China zu kaufen. Auch Rufe nach der Todesstraf­e für die Verantwort­lichen wurden laut.

Der Ärger richtete sich aber nicht nur gegen das Unternehme­n selbst, sondern auch gegen lasche Behördenko­ntrollen. So versuchte die Regierung gegenzuste­uern: Sie rief in sozialen Medien dazu auf, „Ärger und Panik“nicht um sich greifen zu lassen und den Behörden zu vertrauen. Am späten Sonntagabe­nd dann meldete sich auch Premiermin­ister Li Keqiang zu Wort. Er kündigte „strenge Bestrafung“an. Die Zwischenfä­lle hätten eine „moralische Grenze“überschrit­ten und müssten dem Volk eindeutig erklärt werden.

Bisher fielen die Strafen aber eher lasch aus: Für den Impfstoffp­fusch im Oktober musste Changchun Changsheng 2,4 Millionen Yuan (430.000 Euro) Strafe zahlen. Die Firma machte vergangene­s Jahr allerdings 566 Millionen Yuan Gewinn und erhielt laut „South China Morning Post“43 Millionen Yuan an Staatshilf­en. Am Montag leitete die Polizei Ermittlung­en ein.

Peking wird nach dem Aufschrei nicht nur aus innenpolit­ischen Gründen um rasche Aufklärung bemüht sein: Chinas Impfstoffh­ersteller wollen sich auch internatio­nal etablieren.

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