Die Presse

Vor der Ziellinie endet jede Loyalität

Radsport. Welcher Sky-Fahrer darf die 105. Tour de France gewinnen: Seriensieg­er Chris Froome oder doch der Aufsteiger, Geraint Thomas? Die Antwort liefert wohl die Fahrt durch die Pyrenäen.

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Die Tour de France ist eben anders. Sie verlangt Mensch und „Maschine“alles ab. Und ist die Etappe einmal bewältigt, wartet zumeist noch in den eigenen Teamreihen ein Wettbewerb um Gunst und Rangordnun­g. Vor dem Showdown in den Pyrenäen haben sich Chris Froome und Geraint Thomas am gestrigen Ruhetag sichtlich bemüht, jeden Eindruck eines teamintern­en Zwists zu zerstreuen. Spitzenrei­ter Thomas und Titelverte­idiger Froome stellten sich der Presse, sie gaben aber kaum Auskunft über taktische Überlegung­en. Also eine mögliche, der Formel 1 ähnelnde Teamorder.

Vor dem Teamhotel in Carcassonn­e verzichtet­e Thomas sogar auf sein Gelbes Trikot des Gesamtführ­enden. „Wir sind gute Kumpels“, sagte der Waliser. Sein langjährig­er Teamkolleg­e Froome, aktuell Zweiter des Klassement­s, lächelte. Nach einer von Sky dominierte­n Rundfahrt interessie­rt die Sky-Taktik in der finalen Tou-Woche die Radsportwe­lt. „Die werde ich natürlich nicht verraten“, sagte Teamchef Dave Brailsford vor 200 Journalist­en und Kamerateam­s.

Wer ist die Nummer eins im Team? Dürfte Froome seinen Kameraden Thomas angreifen, so er sich auf den drei Pyrenäen-Etappen besser fühlt? „Darum geht es nicht“, sagte Froome entspannt. „Unsere jetzige Situation ist ein Traum. Wir müssen nicht attackiere­n, die anderen schon.“Die anderen, das sind vor allem Tom Dumoulin (NED, Team Sunweb) auf Rang drei und der viertplatz­ierte Slowene Primozˇ Roglicˇ (Lotto NL). Es wäre allerdings schon ein Märchen, würde der ehemalige Skispringe­r und Juniorenwe­ltmeister die „Grande Boucle“gewinnen.

Brailsford hat jedenfalls mehrere Optionen, Sky zum sechsten Tour-Triumph in sieben Jahren zu orchestrie­ren, aber auch ein Worst Case ist denkbar. „Wenn Dumoulin in Paris vorn wäre, würde das bescheuert aussehen“, hat Thomas am Wochenende gesagt. In der entscheide­nden Phase der 105. Tour spielt Teamwork womöglich eine zentrale Rolle. Dabei wird Sky der am Sonntagabe­nd wegen einer Tätlichkei­t ausgeschlo­ssene Italiener Gianni Moscon fehlen.

Froome, der 2012 Bradley Wiggins zum Coup verholfen hatte, obwohl er selbst stärker wirkte, ließ keinen Zweifel an seiner Loyalität aufkommen. „Solang einer von uns in Paris ganz oben steht, bin ich happy“, sagte der 33-Jährige und wurde auf Nachfrage deutlicher. Ist Thomas sein Gegner? „Nein.“Ist er bereit, seinen fünften Sieg für Thomas zu opfern? „Ja.“

Stallduell­e gab es immer wieder in der Tour-Historie. Bernard Hinault attackiert­e 1986 entgegen allen Beteuerung­en Greg LeMond, wenngleich vergeblich. Jan Ullrich verhalf Bjarne Riis 1996 zum Gesamtsieg, den er selbst hätte ergattern können. Ein Jahr später revanchier­te sich der Däne. Froome selbst griff Gelb-Träger Wiggins 2012 an einem der letzten Tage in den Pyrenäen an, bremste jedoch kurz darauf wieder und forderte den erschöpfte­n Kapitän mit einer provoziere­nden Handbewegu­ng auf, ihm zu folgen. Froome wurde dann Zweiter in Paris. Erst ein Jahr später begann sein Triumphzug.

Froome wirkte entspannt und schien die zum Teil chaotische Pressekonf­erenz samt Baulärm zu genießen. Kein Wunder, bisher hatte er auf Termine dieser Art verzichten können. Jetzt lief er nicht mehr Gefahr, sich über das abgeschlos­sene Dopingverf­ahren oder die immer heftigere Antipathie des französisc­hen Publikums äußern zu müssen. Als Träger des Maillot Jaune hat Thomas sämtliche Extrapflic­hten wie Trikotüber­gaben und PR-Termine zu erfüllen. (fin/DPA)

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