Hirnkrebs in der Petrischale ziehen und erkunden
An Minigehirnen von Menschen werden in Wien Tumore erforscht.
Zu den tödlichsten Tumoren zählen die im Gehirn, es liegt auch daran, dass das Zentralorgan nicht leicht zugänglich ist, nicht nur für Medikamente, auch nicht zum Erkunden der Entstehung der Tumore und zum Testen möglicher Abhilfe. Wenn man erkrankten Patienten Hirngewebe entnimmt, sind die Tumore längst da, und das Erkunden ihrer Genese an Versuchstieren hat seine Grenzen darin, dass ihre Gehirne doch anders sind als unsere. An denen müsste man forschen können, direkt – und an Miniversionen geht das auch seit 2013.
Da entwickelte Jürgen Knoblich (Institut für Molekulare Biotechnologie, Imba, Wien) „cerebrale Organoide“, Cors. Ausgangspunkt waren induzierte pluripotente Stammzellen, das sind Körperzellen, die man so weit verjüngt, dass man aus ihnen alle verschiedenen Zelltypen ziehen kann. Auch die des Gehirns: Die brachte Knoblich dazu, sich in der Petrischale im dreidimensionalen Raum so anzuordnen, wie sie das im Gehirn tun, sie werden vier Millimeter groß, etwa wie Linsen, und sie bleiben mindestens drei Monate lang funktionsfähig.
Medikamententest am Organoid
Bisher erkundete man daran die Entwicklung gesunder Gehirne, nun kommt der Folgeschritt: Knoblich hat Cors mit Glioblastomen ausgestattet – besonders gefährlichen Tumoren, die sehr rasch wachsen –, indem er mit kurzem Anlegen elektrischer Spannung und mit der Genschere CRISPR Gene eingeschleuste, von denen man von Patienten weiß, dass sie Tumore entweder fördern (Onkogene) oder unterdrücken (Suppressoren). Eingebaut hat er auch Lumineszenzgene, dann konnte er zuschauen bei der Entwicklung der Tumore und bei der Wirkung von Kandidaten für Medikamente, etwa einem, das derzeit auch in klassischen klinischen Studien ist: Afatinib.
Knoblich blieb nicht „in vitro“, in der Petrischale, er ging „in vivo“, verpflanzte Gliablastom-Cors in Mäuse – aus ethischen Gründen nicht in Gehirne, sondern in Nierenkapseln –, dort zeigte sich das Gleiche (Nature Methods 23. 7.). „Es ist nun möglich, Organoide von Patienten mit Gehirntumoren herzustellen und daran die Wirkung verschiedener Therapiekombinationen zu prüfen“, schließt der Forscher: „Wir sind überzeugt, in Zukunft mögliche Anhaltspunkte für die klinische Behandlung liefern zu können.“(jl)