Die Mensch-Maschinen rosten nie
Pop. Bringt die Band Kraftwerk die „Errettung des Schönen“, von der Byung-Chul Han schwärmt? Ihrer Maschinenästhetik bleibt sie jedenfalls treu. Nun auch im Burgenland.
Die Unterhaltungsindustrie beute das Hässliche, das Ekelhafte aus – meint der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in seinem Büchlein „Die Errettung des Schönen“. Manches in der aktuellen Popmusik spricht für diese These: Viel Hip-Hop kreist um Drogen und Gewalt; der Folk scheint verliebt in die Neurosen, die das moderne Leben schenkt; auf dem Dancefloor ist die Reduktion auf ein primitives Rhythmusgerüst en vogue; Metal-Genres flirten mit okkulten Ritualen.
Ganz anders die Düsseldorfer Elektronikband Kraftwerk: Sie isoliert das Schöne aus der Welt der Technik, macht es erhaben und unangreifbar. Dennoch sind ihre Stücke weit davon entfernt, bloße Genussformeln zu sein. Oft transportieren ihre scheinbar naiv dahinblubbernden Soundscapes ambivalente Gedanken. „Die Mensch-Maschine, halb Wesen und halb Ding, die Mensch-Maschine, halb Wesen und über Ding“, sangen Bandgründer Ralf Hütter und die auch schon 1989 und 1991 angeheuerten Fritz Hilpert und Henning Schmitz im Römersteinbruch. Der vierte Mann, Falk Grieffenhagen, beschränkte sich auf Zuspielung von visuellen Signalen – bei diesem Lied von Bildern jener vier Puppen, die Kraftwerk in ihrer kreativen Hochblüte zeigten, in den Jahren 1974 bis 1981 also. Ein Teil ihrer kreativen Spannung kam damals aus dem Kontrast der sozialen Milieus, aus denen die vier Musiker stammten. Ralf Hütter und Florian Schneider waren „rich kids“, Karl Bartos und Wolfgang Flür stammten aus der Arbeiterklasse. Die klassische Bandkameraderie spielte es bei Kraftwerk nie. Diese Formation war eine Firma.
Schon dadurch unterschieden sich Kraftwerk vom Gros der amerikanischen und britischen Popmusik. Vor allem aber dadurch, dass sie statt über Liebe (und Frieden) über die Verheißungen einer Zukunft sangen, in der die Technik menschliches Antlitz bekommt. Und – was in den Siebzigerjahren, als die Gräuel des Nationalsozialismus noch näher lagen, durchaus gewagt war – dass sie als typisch deutsch angesehene Tugenden der internationalen Popwelt als hip verkauften: Technik- und Industrieeuphorie, Zukunftsgläubigkeit, Maschinenfetischismus, hohes Arbeitsethos, aber auch subversiven Humor und die Liebe zur großen Stadt.
Melissengeist in der Stadt aus Licht
So war das sanfte Stück „Neon-Licht“, ein Lob auf die Urbanität, ein Highlight des Abends: „Wenn die Nacht anbricht, ist diese Stadt aus Licht“, hieß es darin, und das Dunkel wurde durch Neonröhren-Werbeslogans erhellt: „Bar Cristallo“, „Klosterfrau Melissengeist“und „UFA“waren da etwa zu lesen.
Begonnen hatte die Show allerdings nicht mit Buchstaben, sondern mit grellgrü- nen Zahlen, die auf die Tausenden 3-D-Brillen im Publikum peitschten: „Nummern“charmierte mit einem elektronischen Beat, der klang wie von mechanischen Schreibmaschinen. Es folgten „Computerwelt“und „It’s More Fun to Compute“, formschöner Ausdruck einer unbändigen Zuneigung zur binären Gegenwelt. Dann das wohlige Unbehagen von „Mensch-Maschine“.
Mit dem verträumten „Spacelab“ging es hinaus ins All, leider wurde nicht wie zuletzt in Stuttgart der deutsche Astronaut Alexander Gerst, der sich zur Zeit auf der ISS befindet, zugeschaltet. Solche Aktualisierungen sind rar bei Kraftwerk: Hütter & Co. verwalten das OEuvre behutsam, wollen es bewusst mit nichts Neuem kontaminieren. So überzeugten ihre großen Technik-Hits „Radioaktivität“, „Autobahn“und „Trans-Europa-Express“in quasi zeitloser Form, aber auch Stücke des Nachzügleralbums „Tour de France“von 2003: Das Fahrrad ist ja irgendwie auch eine Mensch-Maschine.
Beim abschließenden „Music Non Stop“rasselte es seltsam. Hatte sich da einer der Herren verdrückt? Oder hatten Kraftwerk, was man ihnen eher zutraut, absichtlich einen Fehler eingebaut? Beim Abgang griff sich Hütter jedenfalls ans Herz. War er, der einst postulierte, dass der Mythos des wichtigen Künstlers ausgereizt sei, gerührt? Den Applaus nimmt er mittlerweile gern entgegen. Gute alte Mensch-Maschine.