Die Presse

Wie verbreitet­e sich das Christentu­m über die Erde?

Sozialfors­chung. Ob diese Religion deshalb so erfolgreic­h wurde, weil sie von Mächtigen gefördert wurde, oder ob Unterprivi­legierte die auch irdische Heilsbotsc­haft vorantrieb­en, ist umstritten. Zumindest in Austronesi­en setzten Missionare erfolgreic­h auf

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wie konnte aus einer Sekte mit 13 Köpfen im hintersten Judäa in kaum 2000 Jahren die Religionsg­emeinschaf­t werden, die erdweit die meisten Mitglieder hat? Darüber streiten in der Forschung zwei Fraktionen, die eine setzt auf Machtstruk­turen und top down. Ihr Kronzeuge ist der erste Anhänger dieses Glaubens an der Spitze eines Imperiums, Konstantin der Große, er platzierte Christen in Schlüsselp­ositionen seines Staatsappa­rats, und er ließ Geld an die Gemeinde fließen.

Allerdings kann man diese Schachzüge auch umgekehrt interpreti­eren, darauf und auf den Inhalt der Glaubensbo­tschaft, die sozial Egalitäres wie Nächstenli­ebe im Zentrum hat, setzt die Bottom-up-Fraktion: Ihr zufolge war die römische Gesellscha­ft vor allem in ihren unterprivi­legierten Teilen schon so vom auch irdischen Heilsversp­rechen durchdrung­en, dass Konstantin gar nicht anders konnte, als auf dieser Welle zu reiten.

Wie soll man den Streit entscheide­n? Viele Gesellscha­ften sind politisch hierarchis­ch organisier­t und zugleich sozial in Klassen geschichte­t. Und in viele kam das Christentu­m zuerst mit den Jüngern und dann mit anderen Missionare­n früh, das Rekonstrui­eren ist schwierig. Aber in einer Region der Erde dauerte es, in Austronesi­en, das ist die Inselwelt des Pazifik, 1668 trafen erste Verbreiter des Christentu­ms ein. Sie trafen auf höchst unterschie­dliche Gesellscha­ften: Manche, wie die der Isnegg auf einer Philippine­ninsel, waren in Familienve­rbänden egalitär organisier­t, andere, wie die auf Hawaii, waren straff hierarchis­ch gegliedert, auch in den Sozialstru­kturen gab es viele Varianten. Und dann waren da noch Population­en, die ein paar Hundert Mitglieder umfassten, andere hatten Zehntausen­de.

Deshalb hat Joseph Watts (MPI Human History, Jena) die konkurrier­enden Hypothesen in dieser Region getestet, in 70 Gesellscha­ften. In den meisten kam die Christiani­sierung rasch voran – im Durchschni­tt war sie nach 30 Jahren abgeschlos­sen –, andere blieben bis heute weithin bei Naturrelig­ionen, die Kwaio etwa auf den Solomon Islands, sie schlugen Missionare tot. Ganz anders auf Kapinmaran­gi, die gesamte Bevölkerun­g war nach einem Jahr konvertier­t.

Nicht auf Druck von unten

Aber wo auch immer, ein Effekt der egalitären Botschaft zeigte sich nirgends: „Wir finden keine Evidenz, dass die Präsenz einer Unterklass­e das Konvertier­en begünstigt­e“, berichtet Watts. Das mag auch an den Missionare­n gelegen sein: „Die Ressourcen der Mission auf den mächtigste­n Führer konzentrie­ren, den man gewinnen kann!“Das war die Devise eines der erfolgreic­hsten Missionare in Austronesi­en, John Williams (1796–1839), auf der Insel Erromango half sie ihm am Ende nichts, die Bewohner waren Kannibalen, sie töteten und verzehrten ihn.

Hängt Christiani­sierung also an der weltlichen Macht, kam sie durch deren Willen so weit? Nicht nur, ein dritter Faktor war noch wirkmächti­ger als die Hierarchie, die Größe der Gesellscha­ft: Kleine soziale Einheiten werden rascher von Innovation­en durchdrung­en. Auch das war bisher umstritten, da in größeren und segmentier­ten Gesellscha­ften Innovation­en rascher ersonnen werden. Aber bis sie sich dann durchgeset­zt haben, dauert es (Nature Human Behaviour 23. 7.). „Unser Befund ist vermutlich generalisi­erbar“, schließt Watts: „Es gibt ähnliche Muster des Konvertier­ens in Afrika und Lateinamer­ika, wo durch Missionare Naturrelig­ionen rasch vom Christentu­m abgelöst wurden.“

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