Mathematik als Werkzeugkiste für das tägliche Leben
Mathematik in der Schule: Sargnagel – oder doch Bestandteil der Allgemeinbildung?
Kurt Kotrschal hat in einem Rundumschlag in seiner Kolumne „Mit Federn, Haut und Haar“in der „Presse“Ausgabe vom 3. Juli angebliche negative Folgen des Mathematikunterrichts an Österreichs höheren Schulen angeprangert.
Sehen wir uns die Ergebnisse der diesjährigen standardisierten schriftlichen Reifeprüfung (ssRP) in Mathematik an AHS an, stellen wir einen Anteil von sechs Prozent an Nicht genügend nach der Kompensationsprüfung fest. Heruntergebrochen auf eine Klasse mit 20 Schülern und Schülerinnen wäre das ein Nicht genügend.
Hält man sich vor Augen, wie selten schon immer die Weiße Fahne an einer Schule gehisst worden ist, so ist dieses Ergebnis durchaus in einem akzeptablen Rahmen. Von der Mathematik als „zentralen Faktor für Schulerfolg“zu sprechen ist daher wohl übertrieben. Eine gewisse Herausforderung sollte die schriftliche Reifeprüfung aber schon darstellen, möchte man damit auch weiterhin die Hochschulreife aussprechen. Andernfalls werden sich die tertiären Bildungseinrichtungen (so sie das nicht schon tun) ihre Studierenden durch Aufnahmeprozeduren eigenständig aussuchen.
Gerade das Konzept der schriftlichen Reifeprüfung an AHS enthält als Kern die Festsetzung sogenannter Grundkompetenzen. Sie stellen die von Kotrschal bzw. Smole geforderte „Basismathematik“dar, allerdings der Sekundarstufe II entsprechend. Wer sich darauf nicht mehr einlassen möchte, hat trotzdem gute Chancen, bei der Prüfung durchzukommen.
Ein zweiter Teil der ssRP bedient jene, die mehr zeigen möchten, sie müssen diese Grundkompetenzen verknüpfen und in nicht vertrauten Situationen anwenden. „Höhere“(Schul-)Mathematik kann beim Verfassen einer vorwissenschaftlichen Arbeit oder beim mündlichen Teil der Reifeprüfung zum Tragen kommen. Zu diesem differenzierten Angebot kann sich im Lauf der Oberstufe jeder Schüler und jede Schülerin selbst eine Meinung bilden, um schließlich zu einer Entscheidung zu kommen.
Das ist doch anders als die früheren Maturarituale, die Albträume oder Schlimmeres („Schüler Gerber“) generierten. Ein bloßer „Freigegenstand“für „höhere“Mathematik führt zu einer möglicherweise zu frühen, jedenfalls aber punktuellen Entscheidung, die sich nachteilig im späteren Berufsleben oder auf die nachfolgende weitere Ausbildung auswirken kann. Auch der internationale Vergleich zeigt, dass nahezu überall die „höhere“Schulmathematik unterrichtet wird, um für die tertiäre Ausbildung adäquat vorzubereiten.
Man sollte die Relevanz von Mathematik auch im täglichen Leben nicht unterschätzen. Allein das Lesen eines Anlageangebots einer Bank erfordert mehr als die Grundrechnungsarten und bloßes Prozentrechnen. Darauf bereitet der Mathematikunterricht vor und trägt so zur Emanzipation der Heranwachsenden bei. Diese Chance sollten wir ihnen nicht wegen persönlicher negativer Erfahrungen nehmen.
Das Wesen der „abgehobenen“(Schul-)Mathematik, ihre Abstraktion, macht sie für viele Anwendungen nützlich. Mathematikunterricht kann nicht auf alle möglichen Herausforderungen des Lebens vorbereiten, aber er kann Werkzeuge bereitstellen, die später individuell anwendbar sind. Das macht bis zu einem gewissen Grad unabhängig von Fremdmeinungen und ist Teil einer sinnvollen Allgemeinbildung. Hierbei ist auch Kreativität gefragt. Am Ende des Tages aber muss jedenfalls die Rechnung stimmen.