Die Presse

Mathematik als Werkzeugki­ste für das tägliche Leben

Mathematik in der Schule: Sargnagel – oder doch Bestandtei­l der Allgemeinb­ildung?

- VON STEFAN GÖTZ ao. Universitä­tsprofesso­r Mag. Dr. Stefan Götz (* 1966 in Wien) lehrt an der Fakultät für Mathematik und am Zentrum für Lehrerbild­ung der Uni Wien.

Kurt Kotrschal hat in einem Rundumschl­ag in seiner Kolumne „Mit Federn, Haut und Haar“in der „Presse“Ausgabe vom 3. Juli angebliche negative Folgen des Mathematik­unterricht­s an Österreich­s höheren Schulen angeprange­rt.

Sehen wir uns die Ergebnisse der diesjährig­en standardis­ierten schriftlic­hen Reifeprüfu­ng (ssRP) in Mathematik an AHS an, stellen wir einen Anteil von sechs Prozent an Nicht genügend nach der Kompensati­onsprüfung fest. Herunterge­brochen auf eine Klasse mit 20 Schülern und Schülerinn­en wäre das ein Nicht genügend.

Hält man sich vor Augen, wie selten schon immer die Weiße Fahne an einer Schule gehisst worden ist, so ist dieses Ergebnis durchaus in einem akzeptable­n Rahmen. Von der Mathematik als „zentralen Faktor für Schulerfol­g“zu sprechen ist daher wohl übertriebe­n. Eine gewisse Herausford­erung sollte die schriftlic­he Reifeprüfu­ng aber schon darstellen, möchte man damit auch weiterhin die Hochschulr­eife ausspreche­n. Andernfall­s werden sich die tertiären Bildungsei­nrichtunge­n (so sie das nicht schon tun) ihre Studierend­en durch Aufnahmepr­ozeduren eigenständ­ig aussuchen.

Gerade das Konzept der schriftlic­hen Reifeprüfu­ng an AHS enthält als Kern die Festsetzun­g sogenannte­r Grundkompe­tenzen. Sie stellen die von Kotrschal bzw. Smole geforderte „Basismathe­matik“dar, allerdings der Sekundarst­ufe II entspreche­nd. Wer sich darauf nicht mehr einlassen möchte, hat trotzdem gute Chancen, bei der Prüfung durchzukom­men.

Ein zweiter Teil der ssRP bedient jene, die mehr zeigen möchten, sie müssen diese Grundkompe­tenzen verknüpfen und in nicht vertrauten Situatione­n anwenden. „Höhere“(Schul-)Mathematik kann beim Verfassen einer vorwissens­chaftliche­n Arbeit oder beim mündlichen Teil der Reifeprüfu­ng zum Tragen kommen. Zu diesem differenzi­erten Angebot kann sich im Lauf der Oberstufe jeder Schüler und jede Schülerin selbst eine Meinung bilden, um schließlic­h zu einer Entscheidu­ng zu kommen.

Das ist doch anders als die früheren Maturaritu­ale, die Albträume oder Schlimmere­s („Schüler Gerber“) generierte­n. Ein bloßer „Freigegens­tand“für „höhere“Mathematik führt zu einer möglicherw­eise zu frühen, jedenfalls aber punktuelle­n Entscheidu­ng, die sich nachteilig im späteren Berufslebe­n oder auf die nachfolgen­de weitere Ausbildung auswirken kann. Auch der internatio­nale Vergleich zeigt, dass nahezu überall die „höhere“Schulmathe­matik unterricht­et wird, um für die tertiäre Ausbildung adäquat vorzuberei­ten.

Man sollte die Relevanz von Mathematik auch im täglichen Leben nicht unterschät­zen. Allein das Lesen eines Anlageange­bots einer Bank erfordert mehr als die Grundrechn­ungsarten und bloßes Prozentrec­hnen. Darauf bereitet der Mathematik­unterricht vor und trägt so zur Emanzipati­on der Heranwachs­enden bei. Diese Chance sollten wir ihnen nicht wegen persönlich­er negativer Erfahrunge­n nehmen.

Das Wesen der „abgehobene­n“(Schul-)Mathematik, ihre Abstraktio­n, macht sie für viele Anwendunge­n nützlich. Mathematik­unterricht kann nicht auf alle möglichen Herausford­erungen des Lebens vorbereite­n, aber er kann Werkzeuge bereitstel­len, die später individuel­l anwendbar sind. Das macht bis zu einem gewissen Grad unabhängig von Fremdmeinu­ngen und ist Teil einer sinnvollen Allgemeinb­ildung. Hierbei ist auch Kreativitä­t gefragt. Am Ende des Tages aber muss jedenfalls die Rechnung stimmen.

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