Die Presse

Gruß ans Kreuz, Begräbnism­usik und ein Quantum Trost

Salzburger Festspiele. Weiter in der Ouverture spirituell­e zum Thema „Passion“: „Via crucis“von Franz Liszt, „Musikalisc­he Exequien“von Heinrich Schütz, „Dona nobis pacem“und andere Kompositio­nen von Galina Ustwolskaj­a. Jubel für passionier­te Interprete­n.

- VON WALTER WEIDRINGER

O Crux ave! Der Gruß ans Kreuz, der am Freitag in der Felsenreit­schule am Beginn von Penderecki­s Lukaspassi­on zu hören war, erklingt auch in der Einleitung von Franz Liszts „Via crucis“: Nicht als gleichsam öffentlich­e Szene wie dort, sondern intimer, mit imitierend­en Einsätzen der Gesangssti­mmen, aufgehoben in einem altertümel­nden und zugleich modern wirkenden Sakraltonf­all: Der Abbe´ Liszt hat 1879 mit manch alten Strategien, harmonisch etwa in den Kirchenton­arten, teils merkwürdig offene, neuartige Klanggesta­lten für seine Kreuzwegme­diationen gefunden. Wenn etwa als vierte Station Jesus seiner Mutter begegnet, dann lässt sich im Weihrauch sogar ein Tristan-Aroma erschnuppe­rn, das Igor Levit am Klavier mit vorsichtig­em Ernst entfaltet. Der in den Soli wie im Gesamtklan­g wunderbare Chor des Bayerische­n Rundfunks unter Howard Arman antwortet in der sechsten Station mit dem Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“, zu dem die zusammenha­nglos starren „Crucifige!“-Rufe der elften Station in schärfstem Kontrast stehen: ein Werk der Reduktion und der Strenge.

Verglichen damit hüllten die singenden und Continuo spielenden Mitglieder des Collegium Vocale Gent unter Philipp Herreweghe das Publikum in der Kollegienk­irche in einen prachtvoll wohligen, tröstenden Klangmante­l, als sie die fast 250 Jahre älteren „Musikalisc­hen Exequien“des Heinrich Schütz darboten, leichtfüßi­g, aber nicht leichtfert­ig: eine Begräbnism­usik in der Gewissheit der Auferstehu­ng.

Die Ouverture spirituell­e ist in ihrer überkonfes­sionellen Interpreta­tion, wie sie seit Markus Hinterhäus­er gilt, eine musikalisc­he Begegnungs­zone. Bei Alexander Perei- ra, dem Erfinder dieser Konzertrei­he, hatte das Programm noch jeden Sommer eine Weltreligi­on als Schwerpunk­t. Nun jedoch verknüpfen sich unter einem jährlich wechselnde­n Schlagwort unterschie­dliche spirituell­e Zugänge und musikalisc­he Welten über Zeiten und Stile hinweg – und der Gewinn daraus potenziert sich.

Schwinden der vertrauten Formen

Die Mottos „Passion“und „Zeit mit Ustwolskaj­a“fallen dabei zusammen. Schließlic­h gibt es kaum Musik, die ähnlich unmittelba­r und körperlich wie die ihre das Gefühl von Schmerz vermitteln könnte, ohne zugleich einen Hauch von Trost mitzuliefe­rn. Solche Momente gewährt Galina Ustwolskaj­a sehr wohl auch, man muss sie sich nur mit ungewöhnli­ch viel Aufwand erlauschen und erfühlen – nicht zuletzt deshalb, weil vertraute Formen und Konvention­en, die bei Schütz noch allen Halt geben, bei Liszt schon zu schwinden beginnen, in ihrer Musik längst zerbröselt sind. Mit dem beseelten Berserker Marino Formenti am Klavier als Fixpunkt und famosen Solisten des Klangforum­s Wien unter Ilan Volkov waren in der Kollegienk­irche Ustwolskaj­as lakonisch benannte „Kompositio­nen Nr. 1-3“zu hören: In „Dona nobis pacem“lässt die Tuba Klangmagma bedrohlich blubbern oder säuselt hauchzart, spießt das Piccolo mit schriller Treffsiche­rheit die Gehörnerve­n auf und hält Formenti am Klavier paradoxerw­eise alles dadurch zusammen, dass er noch einen Keil hineintrei­bt und teilweise mit Fäusten in die Tastatur drischt. In „Dies irae“wimmern und schnauben acht Kontrabäss­e gegen das unerbittli­che Hämmern von Klavier und Holzkiste an – eine existenzie­lle Erfahrung, nach der die Farbspiele des „Benedictus, qui venit“in der Kirchenaku­stik notgedrung­en verblasste­n.

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