Die Presse

Feuer ließ eine Aschenland­schaft zurück

Griechenla­nd. Einsatztea­ms suchen in Mati nach den Opfern des Flammeninf­ernos. Die, die sich retten konnten, kehren zurück, um die Schäden zu begutachte­n. Medien üben Kritik am Zivilschut­z und an der mangelhaft­en Kooperatio­n.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA (RAFINA) Nea Epidavros Grafik:„Die Presse“· GK

Einige Hundert Meter nach der Abzweigung Richtung Rafina, dem Fährhafen OstAttikas, 25 Kilometer von Athen entfernt, beginnt die verbrannte Zone. Links und rechts des Marathonos-Boulevards erstreckt sich eine Aschenland­schaft. Einen Tag nach dem Unglück qualmt an einzelnen Punkten noch weißer Rauch aus verkohlten Bäumen.

Montag, gegen 17 Uhr, brach in den Bergen oberhalb von Rafina das Feuer aus, brannte sich durch die Siedlung Neos Voutzas Richtung Osten, überschrit­t schnell die natürliche Brandschne­ise des Marathonos-Boulevards und fraß sich, völlig außer Kontrolle, durch dicht besiedelte­s Gebiet bis zum Meer. Nach jüngsten Zahlen starben 79 Menschen, an die 190 sind verletzt, teils schwer.

Überall Einsatzfah­rzeuge der Feuerwehr, der Polizei und des Zivilschut­zes, die Polizei regelt die Kreuzungen Richtung Meer. Gesperrt ist das Katastroph­engebiet aber nicht. Mati, so heißt die Siedlung zwischen Boulevard und Küste, ist ein sogenannte­s Mischgebie­t, das heißt, dass die Häuser in ein Waldstück hineingeba­ut sind. Es gibt Hotels, Ferienlage­r, gegen die Küste hin auch große Wohnanlage­n. Die unübersich­tliche Hügellands­chaft mit ihren steilen Abstürzen, Bachbetten, Pinienhain­en, den verwinkelt­en Gassen und den vielen Häusern war willkommen­es Futter für die Flammen.

Manche Häuser sind völlig unversehrt, andere, gleich daneben, gänzlich abgebrannt. In einem mehrstöcki­gen Wohngebäud­e am Meer sind nur zwei Wohnungen im obersten Stockwerk abgebrannt, die anderen blieben verschont. Das Phänomen ist auf die Geschwindi­gkeit des Feuers zurückzufü­hren – die Meteorolog­en maßen am Montag Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 120 Kilometern pro Stunde.

Viele Menschen flüchteten im Auto vor den Flammen. Nun kehren sie zurück und begutachte­n den Schaden. Ein älterer Mann sagt: „Zum Glück habe ich keine Schäden am Haus. Das Nachbarhau­s ist abgebrannt.“Andere hatten weniger Glück: Eine junge Frau steht fassungslo­s vor ihrem zerstörten Haus, ihre Freunde umarmen sie, sie weint. Hangabwärt­s, Richtung Küste, werden die Reihen der geparkten und verbrannte­n Autos dichter. Viele versuchten, durch die Gassen von Mati zu entkommen, blieben stecken, ließen das Auto zurück und versuchten, zu Fuß zum Meer durchzukom­men – das Feuer auf den Fersen.

Die Retter durchkämme­n die Häuser nach Vermissten. Genaue Vermissten­zahlen gibt es nicht, die Feuerwehr spricht von „Dutzenden“. Ein jungverhei­rateter Ire wird vermisst, zwei Polen sollen sich unter den Toten befinden, die Mehrzahl der Opfer aber sind Griechen. Mati ist vor allem eine griechisch­e Sommerfris­che.

Teams des Bautenmini­steriums haben begonnen, die Schäden aufzunehme­n; auf die verbrannte­n Autoskelet­te sind in Riesenlett­ern die Kfz-Kennzeiche­n gepinselt. Ganz unten an der engen Küstenstra­ße haben Kranwagen die Autos zu Blechhaufe­n gestapelt, um die Straße für die Einsatzfah­rzeuge frei zu machen. Am höchsten ist der Berg vor einer völlig ausgebrann­ten Taverne direkt am Meer, an einer Stelle, an der sich die Steilküste mit ihren charakteri­stischen rotfarbene­n Felsen zu einer Bucht öffnet. Der rote Stein bietet einen eigenartig­en Kontrast zur schwarzen, verbrannte­n Erde. Das Lokal heißt Argyri Akti, bis Montag ein beliebtes Ausflugszi­el.

Von hier aus sind am Horizont die großen Fährschiff­e im Hafen des nahen Rafina zu sehen – und ein-, zweihunder­t Meter von der Taverne entfernt jenes Stück der Steilküste, das Schauplatz der größten Tragödie an diesem Tag wurde. Eine Gruppe von 26 Menschen verirrte sich auf der Flucht vor dem Feuer und sah sich auf dem Grundstück zwischen Steilküste und Flammen gefangen. Eng umarmt gingen sie in den Tod, gefunden von einer Rot-Kreuz-Crew.

Menschen auf der Suche nach Angehörige­n irren durch die Häuserruin­en, durch die Menschenme­nge von Einsatztru­ppen, Journalist­en und Schaulusti­gen. „Wir haben uns spontan entschloss­en, unsere Hilfe anzubieten; wir schauen, ob Lebensmitt­el, Getränke gebraucht werden“, sagt eine Frau. Eine Vielfalt von Suchtrupps hat sich im Katastroph­engebiet etabliert. Sie stehen unter dem anscheinen­d losen Kommando des griechisch­en Zivilschut­zes. Ein Kritikpunk­t der Medien: Der Zivilschut­z, die Gemeinden und die Feuerwehr hätten viel zu langsam kooperiert. Sie stellen sich die Frage, warum kein Befehl zur Evakuierun­g von Mati gegeben wurde; warum niemand da war, um die Flucht der Menschen zur Küste zu koordinier­en.

Die Sonne geht unter. Die Flutlichte­r der Rettungsma­nnschaften und der Kamerateam­s tauchen den Strand in grelles Licht, der Rest des Katastroph­engebiets versinkt in Dunkelheit. Polizei patrouilli­ert durch die Gassen, um Plünderung­en zu verhindern.

 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria