Die Presse

Wie ein Betreuungs­fall zur Odyssee wurde

Psychiatri­e. Am 1. Juli sind verbessert­e Regeln für psychisch kranke Menschen und deren Sachwalter in Kraft getreten. Welche Probleme es in der Praxis dennoch geben kann, zeigt der Fall eines 30-jährigen Mannes aus Wien.

- VON MANFRED SEEH

Für psychisch kranke Menschen, die einen Sachwalter haben (neuer Begriff: Erwachsene­nvertreter), gelten seit 1. Juli neuen Regeln. Bundesweit sind das circa 60.000 Fälle. Die Reform wird gelobt. Sie bietet den Betroffene­n mehr Mitsprache­rechte. Doch in der Praxis gibt es nach wie vor Probleme. „Presse“-Recherchen zeigen anhand eines Wiener Falles, wie diverse Stellen seit Monaten aneinander vorbei arbeiten.

Im Mittelpunk­t steht ein 30-jähriger Mann (Name der Redaktion bekannt), der seit einem Suizidvers­uch, 2005, auf Betreuung angewiesen ist – und einen Sachwalter (Erwachsene­nvertreter) hat. Ab dem tragischen Vorfall lebte er in Wohnungen, bei seiner Mutter oder in einem CaritasHei­m. Im März 2015 verschlech­terte sich sein Zustand. Er wurde in einer psychiatri­schen Abteilung des Otto-Wagner-Spitals (13. Bezirk) untergebra­cht, einer Einrichtun­g des Wiener Krankenans­taltverbun­ds (KAV).

Formal endete diese Unterbring­ung im April dieses Jahres. Und schon zu Jahresbegi­nn hatte es scheinbar gut ausgesehen – mit einer Übersiedlu­ng vom Spital in eine betreute Unterkunft. Doch daraus wurde nichts. Der 30-Jährige geriet zwischen mehrere Fronten. Schleppend­e Koordinati­on der zuständige­n Stellen ließ die Situation immer verfahrene­r werden.

Hoffnung, dann Enttäuschu­ng

Wie der „Presse“vorliegend­e Papiere belegen, wurde dem Sachwalter des Mannes, dem Wiener Anwalt Reinhard Rosskopf, und der für den Mann zuständige­n leitenden Ärztin des Otto-WagnerSpit­als am 8. Jänner eine frohe Botschaft übermittel­t – und zwar vom Fonds Soziales Wien. Der 30-Jährige hätte die Möglichkei­t, in eine betreute Caritas-Wohnung einzuziehe­n, hieß es. Unterlagen über das Wohnprojek­t wurden vorgelegt; zuletzt im Mai.

Im Juni war alles anders. Die leitende Ärztin schrieb der Mutter des Mannes: „Wir haben Ende Mai die Rückmeldun­g von der Leitung der Caritas erhalten, dass Herr (. . .) für das geplante Wohnprojek­t der Caritas abgelehnt wurde.“Begründung: Die Caritas fürchte, dass die Mutter des Mannes laufend Beschwerde­n einbringen würde.

Diese Begründung schien Florian Kreiner, dem Anwalt der Mutter, seltsam. Er wandte sich an die Caritas und erfuhr ganz anderes: Schon Ende 2017 habe die Caritas einem Arzt des Otto-Wagner-Spitals erklärt, dass der Mann aufgrund seiner Pflegestuf­e für das Wohnprojek­t sowieso nicht infrage käme. Die Caritas bestätigte dies schriftlic­h: Alles sei „bereits Ende letzten Jahres mit dem Fonds Soziales Wien erörtert“worden.

Am 10. Juli schrieb dann Sachwalter Rosskopf an den Mutter-Anwalt Kreiner, er könne zu dem Absageschr­eiben der leitenden Ärztin nichts sagen. Er könne freilich auch keine Weisungen an den KAV erteilen. Aber er habe „ohnedies auch andere geeignete Einrichtun­gen kontaktier­t“.

Es folgte eine Episode im OttoWagner-Spital: Wie Anwalt Kreiner der „Presse“unter Bezugnahme auf Angaben der Mutter des Mannes mitteilte, sei diesem angekündig­t worden, man könne ihn auch kurzerhand vor die Wohnungstü­r der Mutter transporti­eren. Daraufhin bat Mutter-Anwalt Kreiner einmal mehr alle an dem Fall beteiligte­n Stellen um Aufklärung.

„Betroffene­r steht in der Mitte“

Auf „Presse“-Anfrage sagte die Sprecherin des Fonds Soziales Wien, Katharina Ebhart-Kubicek: „Wir arbeiten an einer Lösung. Mehr kann ich nicht sagen.“

Der Sachwalter des Mannes lieferte der „Presse“diese Auskunft: Es sei zuletzt „ein halbes Dutzend“Einrichtun­gen gefunden worden, die bereit gewesen wären, den Mann aufzunehme­n. Die Übersiedlu­ng sei an Umständen gescheiter­t, „auf die weder Verantwort­liche des Otto-Wagner-Spitals noch ich als Erwachsene­nvertreter Einfluss hatte.“Welche Umstände das seien, unterliege der Verschwieg­enheitspfl­icht.

Mutter-Anwalt Kreiner: „Der Betroffene steht nun in der Mitte. Tatsächlic­he Hilfe gibt es keine.“

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