Die Presse

Ein oftmals unbequemer Held Italiens

Nachruf. Am Mittwoch ist der langjährig­e Fiat-Chef Sergio Marchionne verstorben. Er wird nun von jenem Land geehrt, für das er oft nur Kritik übrig hatte.

- VON JAKOB ZIRM

Sogar das italienisc­he Parlament hielt am Mittwoch für eine Schweigemi­nute inne. Und auch ansonsten zeigten sich die Würdenträg­er des offizielle­n Italien tief berührt von dem plötzliche­n Tod von Sergio Marchionne. Wie berichtet war der Italo-Kanadier erst am Wochenende von seinem Job an der Fiat-Spitze abgelöst worden, nachdem der Konzern bekannt gegeben hatte, dass Marchionne nach einer SchulterOp­eration Ende Juni im Koma liegt. Was genau passiert ist, wird nicht kommunizie­rt. Laut Branchenge­rüchten soll es bei der komplexen Entfernung eines Tumors an der Schulter zu einer Embolie gekommen sein.

Italien habe mit Marchionne einen seiner brillantes­ten Manager verloren, so der Tenor der ersten Wortmeldun­gen aus der italienisc­hen Politik. Und selbst die Metallerge­werkschaft Fiom zollte ihm Respekt – wenn auch mit Verweis auf die „vielen harten Konflikte“, die man miteinande­r ausgefocht­en hatte. Denn auch wenn der als 14-Jähriger mit seiner Familie nach Toronto Ausgewande­rte von den Italienern vor allem als jener Held gesehen wird, der Fiat vor der Plei- te bewahrte, war sein Verhältnis zu seinem Geburtslan­d ambivalent.

„Fiat würde es ohne Italien besser gehen.“Diese Aussage von Marchionne im Jahr 2010 markiert den Höhepunkt in der schwierige­n Beziehung zwischen dem in Nordamerik­a sozialisie­rten Marchionne und Italien. Der Manager hatte damals gerade sein Husarenstü­ck geliefert und den US-Autokonzer­n Chrysler übernommen. Innerhalb von sechs Jahren war aus dem kurz vor der Insolvenz stehenden italienisc­hen Autoherste­ller ein globaler Spieler der Branche geworden.

Nun müssten auch die Werke in Italien im internatio­nalen Wettbewerb innerhalb des Konzerns bestehen, so die Forderung Marchionne­s. Und das führte unweigerli­ch zum Abbau von tausenden Arbeitsplä­tzen und ständigen Machtkämpf­en mit der Gewerkscha­ft.

Aber es waren nicht nur die italienisc­hen Arbeitnehm­ervertrete­r, mit denen Marchionne wenig Freude hatte. Auch die Manager entsprache­n nicht seiner Vorstellun­g. Als er 2004 zu Fiat gekommen sei, habe es auf den Gängen unzählige sehr elegant gekleidete Herren gegeben, die aber allesamt keine Entscheidu­ngen treffen woll- ten, erzählte er später einmal. „In Italien wird geredet, in den USA wird gehandelt.“Seine erste Amtshandlu­ng war daher, jeden dieser Manager genau zu fragen, wer er sei und was er mache – und in der Folge 90 davon zu kündigen.

Aber auch optisch wollte er sich von seinen Turiner Kollegen abgrenzen, die ihn in der Folge „Marsmensch“tauften. Und so legte er entgegen italienisc­her Gepflogenh­eiten Sakko und Krawatte ab und trat seit 2005 fast nur noch im charakteri­stischen schwarzen Pullover mit kariertem Hemd darunter auf.

Der Erfolg gab ihm dabei Recht. 2003, im Jahr vor seinem Antritt, musste Fiat noch einen Verlust von mehr als sechs Mrd. Euro verkraften. Im Vorjahr wurde ein Rekordgewi­nn von drei Mrd. Euro erzielt. Seit der Fusion mit Chrysler hat die Aktie des Konzerns um mehr als 350 Prozent zugelegt – mehr als jedes andere Unternehme­n der Autobranch­e.

Angesichts seines Alters von 66 Jahren wollte er dieses Erbe im April 2019 einem Nachfolger übergeben. Wer das sein sollte, hätte erst kurz davor festgelegt werden sollen, so Marchionne vor wenigen Monaten. „Zuerst machen wir einmal das Jahr 2018 fertig.“Das muss nun sein Nachfolger, der bisherige Jeep-Chef Mike Manley, erledigen.

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