Bombardier verleiht der Straßenbahn „Augen“
Bahnindustrie. Am Standort Wien hat der kanadische Konzern sein globales Kompetenzzentrum für Straßenbahnen. Eine der Innovationen, die schon getestet wird: ein IT-System, mit dem Gefahren extrem rasch erkannt werden.
Es ist ein ewiges Match: Seit Jahrzehnten rittert die weltweite Nummer drei der Zugproduzenten, die kanadische Bombardier, gegen Siemens – die Deutschen stiegen durch die Fusion mit Alstom zur Nummer zwei auf – um die großen Bahnaufträge dieser Welt. Auch in Österreich. Beim jüngsten Großauftrag der ÖBB hat wieder Siemens die Nase vorn. Es geht um 21 Fernzüge, die auch im Nachtverkehr eingesetzt werden. Das schmerzt BombardierÖsterreich-Chef Christian Diewald, wie jeder verlorene Auftrag. „Wir hatten nicht das passende Produkt“, räumt er jedoch realistisch ein. Mit dem kämpferischen Nachsatz: „Nach dem Auftrag ist vor dem Auftrag.“
Soll heißen, es gibt immer ein nächstes Mal. Das betrifft hierzulande die Erneuerung von Zuggarnituren für die Badner Bahn, aber auch weitere Orders für die TRAXX AC 3-Lokomotive, die mit Elektro- wie auch Dieselantrieb ausgestattet und daher für den Frachttransport ideal ist. „Bisher haben wir jede Ausschreibung der ÖBB für E-Loks gewonnen“, sagt Diewald.
Was derzeit im Mittelpunkt steht, sind zwei Großaufträge: Die ÖBB haben vor eineinhalb Jahren um insgesamt 1,8 Mrd. Euro 300 Garnituren des Regional- und Nahverkehrszuges Talent 3 bestellt. Die zweite Tranche – 25 Züge im Wert von 188 Mio. Euro – wurde vor Kurzem abgerufen.
Zum anderen steht die neue Niederflur-Straßenbahn Flexity in den Startlöchern, die in Wien entwickelt wurde und auch hier gebaut wird. 156 Garnituren wurden von den Wiener Linien um rund 500 Mio. Euro bestellt, zwei Prototypen fahren schon, ab Herbst wird die neue Straßenbahn eingesetzt. Rund 1500 Flexity-Züge sind schon rund um den Globus im Einsatz. „Das ist maximale österreichische Wertschöpfung“, sagt Diewald mit einem Seitenblick auf seinen Boss Michael Fohrer, den Chef der Bombardier Transportsparte, die ihren Sitz in Berlin hat.
Die Österreich-Tochter, die aus der Übernahme der 1823 gegründeten Lohnerwerke hervorging, ist das globale Kompetenzzentrum von Bombardier für Straßen- und Stadtbahnen. „Als Entwicklungszentrum für Innovationen rund um Mobilität in Städten ist die Position des österreichischen Werks innerhalb des Konzerns unbestrit-
ten“, sagt Fohrer. Eine beruhigende Aussage, schließlich befindet sich die gesamte TransportationSparte in einem umfangreichen Sanierungsprozess.
Nach jahrelangen Rückgängen im Schienenfahrzeugbau und einer aus dem Ruder gelaufenen Flugzeugentwicklung (das zweite Standbein der Kanadier) geriet Bombardier kräftig ins Schleudern. Zudem fehlte dem Mischkonzern eine klare Ausrichtung. In das Flugzeugprogramm hat sich nun Airbus eingekauft. Schon vor zwei Jahren startete Fohrer die Restrukturierung des Bahngeschäfts.
Jeder Standort erhält eine klare Kompetenz, „er wird zur Produktplattform“, sagt Fohrer. So werde auch der Talent 3 künftig in Bautzen gebaut. Die Spezialisierung soll Lieferzeiten verkürzen – das Um und Auf im Wettbewerb. 2200 Jobs werden in Deutschland sozialverträglich abgebaut. Wien sei nicht betroffen, weil die Engineering-Plattform schon als Modell gelte, sagt Fohrer, der für die Region CEE und GUS, Russland und China zuständig ist. 2020 soll der Turnaround gelingen.
Zweifelsohne gebe es eine Renaissance des Schienenverkehrs, meinen die beiden Manager. „Denken Sie an Schlagworte wie urbane Mobilität, autofreie Städte und selbstfahrende Züge – diese Sachen sind nicht aufzuhalten.“Allerdings mangle es vielerorts noch an verkehrspolitischen Konzepten, betont Fohrer.
Auch in den Labors in Wien Donaustadt hat die Zukunft längst begonnen. Über Innovationen wird naturgemäß nicht gesprochen. Eine ist aber schon im Test: Es ist ein IT-System, das Straßenbahnen „sehend“macht. Damit würden Gefahren und Hindernisse rascher erkannt, als es ein Fahrer kann, erklärt Diewald. In etwa fünf Jahren, so schätzt er, würde auch die Flexity mit „Augen“durch Wien kurven.
Zudem ist Bombardier Partner beim Open.Rail.Lab, der ersten Teststrecke für selbstfahrende Züge in Europa. Dazu hat das Land Burgenland von den ÖBB die stillgelegte Bahnstrecke FriedbergOberwart gekauft. Quasi in freier Wildbahn soll dort in den nächsten Jahren Bahntechnologie der Zukunft getestet werden.
Gebremst wird das Wiener Bombardier-Team also nicht vom Mangel an Ideen, sondern an Fachkräften. 50 neue Ingenieure wurden 2017 eingestellt, ebenso viele werden gesucht und insgesamt fünf Millionen Euro in den Ausbau des Standorts investiert. Mit der Technischen Universität Wien wird dazu eine Kooperation geschlossen. Die Zahl deren einschlägiger Absolventen reiche aber bei Weitem nicht aus.