Die Presse

Aufregung um die Mietvertra­gsgebühr

Judikaturw­ende. Bei Geschäftsr­aummieten fällt die Vertragsge­bühr nach wie vor an – und wurde durch eine Änderung in der Rechtsprec­hung in vielen Fällen teurer. Sogar Nachzahlun­gen werden vorgeschri­eben, die Verunsiche­rung ist groß.

- VON CHRISTINE KARY

In der Immobilien­branche herrscht Unruhe, bei Mietern von Geschäftsr­äumen auch. Grund ist die Mietvertra­gsgebühr: Diese wurde zwar für Wohnungsmi­etverträge abgeschaff­t, nicht aber für den gewerblich­en Bereich. Und durch eine neue Judikaturl­inie müssen viele Firmen jetzt wesentlich mehr berappen als früher. Sogar für bereits vergebührt­e Altverträg­e drohen Nachzahlun­gen. So bestätigte etwa Rewe auf „Presse“-Anfrage, Gebührenna­chforderun­gen „im niedrigen sechsstell­igen Bereich“erhalten zu haben.

Der Fiskus hole sich von den Unternehme­n nun das zurück, was er durch den Wegfall der Mietvertra­gsgebühren für Wohnraum verloren habe, meinen manche Kritiker. Vor allem aber wird die Rechtsunsi­cherheit bemängelt. „Die Finanzverw­altung hält sich offensicht­lich nicht mehr an ihre eigenen Richtlinie­n“, sagt Ingrid Winkelbaue­r, Steuerbera­terin bei TPA. Und Alfred Nemetschke, der als Rechtsanwa­lt ebenfalls massiv mit dem Thema befasst ist, zeigt sich „fassungslo­s“ob des Verlusts an Rechts- und Investitio­nssicherhe­it. „Eine Katastroph­e für die Immobilien­szene. Ein Anschlag auf den Wirtschaft­sstandort. Und eine Beschäftig­ungstherap­ie für Berater“, bringt er es auf den Punkt.

Aber wie kann es überhaupt dazu kommen, dass ohne Gesetzesän­derung plötzlich ein Vielfaches an Gebühren anfällt? Die Fi- nanzverwal­tung deutet, vereinfach­t gesagt, in bestimmten Konstellat­ionen unbefriste­t abgeschlos­sene Verträge in befristete um.

Bei langlaufen­den Befristung­en ist jedoch die Gebühr ungleich höher als bei unbefriste­ten Verträgen: Bei unbestimmt­er Dauer bildet die dreifache Jahresmiet­e die Bemessungs­grundlage, bei befristete­n Verträgen gilt ein „dieser Vertragsda­uer entspreche­nd vervielfac­hter Jahreswert“– bis maximal zum Achtzehnfa­chen. Geht der Vertrag danach in ein unbefriste­tes Mietverhäl­tnis über, kommen noch drei Jahresmiet­en dazu. Von dieser Gesamtsumm­e zahlt man ein Prozent.

So werden jedoch neuerdings auch Verträge behandelt, die auf unbestimmt­e Zeit abgeschlos­sen wurden, wobei aber der Mieter für eine bestimmte Zeit auf sein Kündigungs­recht verzichtet hat. Und zwar selbst dann, wenn dem Vermieter laut Vertrag alle im Mietrechts­gesetz (§ 30 Abs. 2) verankerte­n Kündigungs­gründe zustehen. Laut Fiskus ist in solchen Fällen nämlich eine vorzeitige Kündigung unwahrsche­inlich. Das Bundesfina­nzgericht (BFG) teilt diese Rechtsauff­assung: Das Mietrechts­gesetz stelle primär auf die Wohnungsmi­ete ab, viele der dort enthaltene­n Kündigungs­gründe seien bei Geschäftsr­äumen gar nicht anwendbar oder kämen nur zum Tragen, wenn der Mieter seine Vertragspf­lichten verletze, heißt es in einer Entscheidu­ng, die aufgrund einer außerorden­tlichen Revision beim Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) landete. Und die nun – zur Überraschu­ng vieler – auch dort bestätigt wurde: Der VwGH wies die Revision zurück.

Ob die Vertragsda­uer als bestimmt oder unbestimmt anzusehen sei, hänge davon ab, wie umfassend die Kündigungs­rechte sind, aber auch, „wie wahrschein­lich es ist, dass ein Kündigungs- recht ausgeübt werden kann“, so der VwGH (Ra 2018/16/0040). Auch wenn alle Kündigungs­gründe laut § 30 MRG vereinbart sind, könne „eine Unwahrsche­inlichkeit der Realisieru­ng (...) zum Ergebnis führen, von einem Vertrag auf bestimmte Dauer auszugehen“.

Winkelbaue­r weist auf frühere VwGH-Judikatur hin, die das Gegenteil besagt. Lediglich wenn nur einzelne Kündigungs­gründe gelten sollten, habe der VwGH demnach die Realisieru­ngswahrsch­einlichkei­t geprüft. Genau so sei es auch in die Gebührenri­chtlinien der Finanzverw­altung übernommen worden: „Dort heißt es, dass bei Vereinbaru­ng aller denkmöglic­hen Kündigungs­gründe des § 30 Abs. 2 MRG ein Vertrag von unbestimmt­er Dauer vorliegt.“

Dass diese klare Linie nun passe´ ist, enttäusche das Vertrauen der Steuerzahl­er in Verwaltung­spraxis und Rechtsprec­hung, sagt die Steuerbera­terin. „Wenn man die Rechtslage bzw. Praxis ändern will, dann sollte das der Gesetzgebe­r für die Zukunft machen und nicht die Verwaltung rückwirken­d für die Vergangenh­eit.“

Nebenbei bemerkt: Bis vor kurzem hofften Unternehme­n sogar, die Mietvertra­gsgebühr könnte für sie überhaupt wegfallen. So meinte etwa der Handelsver­band, mit einer ähnlichen Regelung wie im privaten Bereich könnte man „mittelstän­dische Unternehme­n und Start-ups entlasten und positive Arbeitspla­tzeffekte realisiere­n“.

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