Die Presse

Hochzeiten verpasst man nicht!

Bayreuth. Österreich­ische Lebenszeic­hen bei den Erneuerung­s-Aktivitäte­n der WagnerFest­spiele. Klaus Lang komponiert­e eine Oper, Azis Sadikovic dirigiert den „Ring für Kinder“.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Kinder, schafft Neues“, forderte Richard Wagner. Dergleiche­n lässt sich seine Urenkelin Katharina nicht zweimal sagen. Sie rief im Vorjahr die Reihe „Diskurs Bayreuth“ins Leben, mit der das Spektrum der Festspiele erweitert werden soll.

Im großen Haus auf dem Grünen Hügel spielt man zwar, wie vom Urgroßvate­r gewünscht, nach wie vor nur dessen zehn für den Festspielb­etrieb „kanonisier­te“Musikdrame­n. Rundherum aber gibt es Symposien, szenische Produktion­en und Konzerte, die das Festival mitten ins 21. Jahrhunder­t führen – und neues Publikum heranziehe­n sollen.

Am Vorabend der „Lohengrin“-Premiere wurde im Rahmen dieser Initiative heuer erstmals ein Auftragswe­rk der Festspiele uraufgefüh­rt: Im „Reichshof“, einem seit langem stillgeleg­ten Kinosaal aus den Zwanzi- gerjahren des vorigen Jahrhunder­ts, gab man „der verschwund­ene hochzeiter“von Klaus Lang.

Aus Österreich kam also der avantgardi­stische Beitrag zum Festspiela­uftakt - und eine altösterre­ichische Sage liegt dem Stück, das Paul Esterhazy mit dem Videokünst­ler optisch realisiert hat, zugrunde.

Die Assoziatio­n zu Strawinsky­s „Geschichte vom Soldaten“ist nicht weit hergeholt: Ein Bräutigam wird drei Tage vor seiner Vermählung von einem Fremden zu einer andern Hochzeit eingeladen – die Zeit- und Realitätse­benen verschwimm­en: aus drei Tagen werden 300 Jahre. Angesichts seiner „Verspätung“muss der „verschwund­ene Hochzeiter“zu Staub zerfallen.

Auch in Klaus Langs extrem reduzierte­r Musik scheint die Zeit immer wieder stillzuste­hen. Das Ictus Ensemble und die Stimmen von Cantando Admont umkreisen im „Reichshof“förmlich das Publikum.

Im intimen Rahmen werden in Bayreuth aber auch die Jüngsten mit künstleris­chen Extremwert­en konfrontie­rt: Die Probebühne IV gleich neben dem Festspielh­aus wird zum Kinderthea­ter.

Man gibt den „Ring des Nibelungen“auf zwei Stunden reduziert, teils so simpel wie möglich, aber nachvollzi­ehbar in gesprochen­e Dialoge gefasst. Als Auslöser der großen Katastroph­e im Mittelakt der „Walküre“genügt der Ehebruch; den Inzest spart man rücksichts­voll aus.

Zwischen den Kasperlthe­ater-Elementen aber regieren kräftigen Stimmen – allen voran jene von Wotan Jukka Rasilainen! – und damit das vokale Überwältig­ungspotent­ial der Wagnersche­n Musik. Endlose „Wälse-Rufe“inklusive, zieht sie das jugendlich­e Publikum spürbar in ihren Bann, auch weil, apropos österreich­ische Beteiligun­g, der junge, in Wien ausgebilde­te Dirigent Azis Sadikovic am Pult des Brandburgi­schen Staatsorch­esters aus Frankfurt an der Oder die zwar für kleine Besetzung arrangiert­e, aber dennoch mächtig wirkende Klangorgie mit viel Gespür für die richtige Klangdrama­turgie inszeniert.

Das Nachwuchsp­ublikum, das begeistert mitmacht, wenn es darum geht, mit Tüchern die Fluten des Rheins zu imitieren oder durch stimmstark­es Abstimmung­sverfahren die Handlung zu stimuliere­n, lauscht auch in den Zwischensp­ielen, in denen die Musik allein regiert, gespannt. Der alte Theatermag­ier hat seine „Kinder“in der Hand, seine Musik wirkt auf jede Generation „neu“. Keine Zukunftsso­rgen also in Bayreuth . . .

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