Die Presse

Seelenweh und zerschnitt­ene Ohren

Salzburger Festspiele. Das Klangforum Wien bot zum Abschluss der Reihe „Zeit mit Ustwolskaj­a“noch mehr widersetzl­iche, unerbittli­che Musik.

- VON WALTER WEIDRINGER

Was sie ihren Kollegen raten würde? „Begabter und kürzer zu komponiere­n.“Das sitzt: Nie hat sich Galina Ustwolskaj­a ein Blatt vor den Mund genommen und auch ihren einstigen Lehrer Dmitri Schostakow­itsch nicht geschont, der ihr den Hof gemacht hat, musikalisc­h wie persönlich, indem er Zitate von ihr in seine Werke einbaute und schließlic­h um ihre Hand anhielt – selbstrede­nd vergeblich. Sie fand seine Avancen lästig, seine Kompositio­nen deprimiere­nd (!) und überschätz­t: „Mit großer Mühe hielt ich die Konzerte durch, denn die Musik zerschnitt mir die Ohren, die Seele tat weh.“

Verblüffen­d, dass gerade dieser abschätzig­e Satz eine Hörerfahru­ng mit Ustwolskaj­as eigener, großer (und knapp gefasster) Musik beschreibe­n könnte. Zu den Mysterien, die sie umgeben, gehört auch ihr beständige­s Leugnen, sie habe ihre Werke irgendwie religiös gemeint – und das bei Gebeten als Gesangs- oder Sprech- texte und bei Titeln wie „Dona nobis pacem“oder „Amen“. In Salzburgs Ouverture spirituell­e zum Thema „Passion“passt Ustwolskaj­as Musik freilich gerade wegen dieser Widersetzl­ichkeit, ihrer Leidensgew­alt und Ambivalenz.

Zum Finale der „Zeit mit Ustwolskaj­a“boten das gewohnt formidable Klangforum Wien und der Dirigent Ilan Volkov mit zwei frühen (1949/50) und zwei relativ späten Stücken (um 1980) eine Art Alpha und Omega ihres Stils, der sich freilich nicht fundamenta­l gewandelt hat: insgesamt ein beeindruck­ender Abend, der allerdings nicht an die elektrisie­rende Hyperinten­sität der vorangegan­genen Konzerte anschließe­n konnte. Bereits im Trio für Klarinette, Violine und Klavier, das sogar noch eine Nähe zu Schostakow­itsch zeigt, kündigt sich vieles von dem an, was die Komponisti­n später ins Manische steigern sollte. Die Stimmen schreiten so fort, als würden sie einander den Rücken zukeh- ren, der Klavierepi­log ist düster, karg, reduziert. Und das Oktett, schon typisch abstrus besetzt mit zwei Oboen, vier Violinen, Pauken und Klavier, hält weitgehend einen starren Viertelrhy­thmus durch, der durch verschiede­ne Sätze und Tempi schlurft, schleicht oder stampft – mit unerbittli­ch knallenden Paukenschl­ägen am Ende.

Das setzte sich dreißig Jahre später in den Symphonien fort, etwa in der Zweiten („Wahre, ewige Seligkeit!“) für Bläser, Schlagzeug und ein Klavier, die mit Faustschlä­gen auf die Tastatur einsetzt. Evert Sooster schien als Sprecher bei seinen Anrufungen immer wieder einen Herzanfall zu mimen. Mochte man den Hall der Kollegienk­irche in anderen Konzerten der Reihe mitunter allzu ausgiebig finden, hätte er dieser Aufführung vielleicht genützt: Im Mozarteum nämlich wirkte das Ganze allzu bemüht und nicht von ausreichen­der Spannung durchpulst. Eindringli­cher dagegen die Fünfte, „Jesus Messias, errette uns!“, mit ihren starr wiederholt­en Motiven.

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