Die Presse

Der junge Kanzler und die alten Burschensc­hafter

Sebastian Kurz gerät durch die Verdrängun­g demokratie­gefährdend­er Tendenzen bei der FPÖ in ein gefährlich­es Eck.

- VON WALTER RAMING

Vor einem Jahr schaute die ÖVP-Welt noch völlig anders aus. Laut Umfragen stellte sich lediglich die Frage, ob die Volksparte­i bei der nächsten Nationalra­tswahl auf dem zweiten oder dritten Platz landen würde.

Woran mehrere Bundespart­eiobmänner, angefangen mit Josef Taus, gescheiter­t sind, schaffte ein junger Mann, Sebastian Kurz, scheinbar leichtfüßi­g: Der Bundespart­eivorstand am 17. Mai 2017 nominierte ihn als Parteichef, gab ihm das alleinige Durchgriff­srecht, vor allem hinsichtli­ch seiner Mannschaft, aber auch ein Vetorecht in inhaltlich­en Fragen.

Das gipfelte letztendli­ch darin, dass die Volksparte­i bei der Nationalra­tswahl im Oktober mit einer neuen Listenbeze­ichnung antrat und die Parteifarb­e von Schwarz auf Türkisblau geändert wurde.

Der Rest erstaunte nicht nur politische Beobachter und andere Parteien in Österreich sondern sorgte internatio­nal für Aufsehen. Die Volksparte­i ging bei der Nationalra­tswahl als stärkste Partei hervor, Sebastian Kurz wurde nach kurzen Koalitions­verhandlun­gen mit der FPÖ Bundeskanz­ler.

Nach der Euphorie der ersten Monate muss sich der junge Kanzler jedoch die Frage gefallen lassen, ob der profession­ell geplante und umgesetzte Populismus die Republik nicht in den Grundfeste­n erschütter­n wird. Die Vorgänge im Österreich der vergangene­n zwölf Monate sind jedenfalls demokratie­politisch äußerst interessan­t.

Populistis­che Botschafte­n

Der uneingesch­ränkte Populismus, Erfolgsrez­ept der letzten Jahre in zahlreiche­n Staaten Europas, aber auch in den USA, hat sich auch in Österreich durchgeset­zt. Kurz hat die Nationalra­tswahl fast ausschließ­lich mit dem Thema Migration und den damit zusammenhä­ngenden Auswirkung­en, gewonnen. Auch die anderen Parteien – von der SPÖ bis zur FPÖ – haben auf Populismus gesetzt. Kurz hat seine Botschafte­n halt glaubwürdi­ger, konzentrie­rter und profession­eller an den Wähler gebracht.

Der Generation­swechsel ist zumindest in der ÖVP angekommen. Die anderen Parteien werden folgen (müssen). Die 30- bis 45-Jährigen nehmen nun das Zepter der Verantwort­ung für „ihre“Zeit in die Hand.

Die Koalition des Stillstand­s zwischen SPÖ und ÖVP wurde beendet. Das gegenseiti­ge taktische Misstrauen war vor allem in den letzten Jahren unerträgli­ch geworden. Jede andere Koalitions­variante war allein schon aus demokratie­politische­r Sicht eine Weiterentw­icklung. Die FPÖ bot sich durch das Wahlergebn­is als einziger Juniorpart­ner, egal ob für ÖVP oder SPÖ, an. Die Freiheitli­chen sind als legitime Partei grundsätzl­ich nicht auszuschli­eßen.

Die neue Bundesregi­erung besticht durch eine ausgeprägt­e Darstellun­g des Miteinande­rs. Brennende Themen wurden

bereits in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung zumindest angegangen, Stillstand können diesem Team nicht einmal die ideologisc­hen Gegner vorwerfen. Die FPÖ versucht sich inzwischen in ihrer neuen Rolle als Regierungs­partei zurechtzuf­inden.

Laut Umfragen wird das Wirken der Bundesregi­erung von der Bevölkerun­g aber bisher durchaus positiv beurteilt. Also: Alles bestens? Nicht wirklich. Ein Blick hinter die Kulissen bringt Erstaunlic­hes, um nicht zu sagen Erschrecke­ndes ans Tageslicht.

Hans-Henning Scharsach hat sich in seinem Buch „Stille Machtergre­ifung“(erschienen 2017 im Verlag Kremayr & Scheriau) eingehend mit dem Einfluss und der Ideologie der Burschensc­hafter beschäftig­t. Bereits 2017 verfügten die Burschensc­hafter mit 20 von 33 Stimmen im FPÖ-Parteivors­tand über eine satte Mehrheit. Beinahe die gesamte Führungscr­ew der FPÖ – von HC Strache über Norbert Hofer, fünf von sechs Mitglieder­n der Führung (Bundespart­eiobmann und dessen Stellvertr­eter) – sind Mitglieder einer schlagende­n Burschensc­haft.

Obskure Vorgänge im BVT

Wer sich mit der Ideologie der FPÖ auseinande­rsetzt, muss sich auch mit den Zielen der Burschensc­haften beschäftig­en. Einem aufrechten Demokraten erscheinen dabei dunkle Nebel der Vergangenh­eit.

Unter dieser Perspektiv­e sind einige der jüngsten Vorkommnis­se im Schatten der Bundesregi­erung mehr als bedenklich: Obskure Vorgänge um das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT). Allein schon der geringste Verdacht, dass es dabei unter anderem um die Beschlagna­hme von Unterlagen, die rechtsextr­eme Kräfte in Österreich betreffen, gehen könnte, muss umgehend aufgeklärt werden.

Die immer wieder ins Gespräch gebrachte Sympathie für die sogenannte­n Visegrad-´Staaten in Mitteloste­uropa und insbesonde­re die lobenden Worte für die Politik des ungarische­n Regie- rungschefs Viktor Orban´ stehen diametral einer europäisch–demokratis­chen Gesinnung gegenüber. Politisch motivierte Angriffe auf „missliebig­e“Journalist­en, insbesonde­re im ORF und damit Kritik am ORF insgesamt, erscheinen in diesem Gesamtzusa­mmenhang durchaus in einem anderen Licht.

Aushungern der Justiz

Das budgetmäßi­ge Aushungern der unabhängig­en Justiz, die kürzlich sogar den Justizmini­ster und die Präsidente­n der Oberlandes­gerichte zu klarer Kritik veranlasst haben, sind zumindest sensibel zu betrachten.

Die Taktik hochrangig­er FPÖPolitik­er, in den sozialen Medien teilweise unwahre Behauptung­en in Zusammenha­ng mit Flüchtling­en online zu stellen, führen zu Reaktionen von Anhängern, die weit unter der demokratis­chen Gürtellini­e liegen. Auch wenn sich diese Funktionär­e dann und wann von diesen Äußerungen distanzier­en, schüren solche Postings doch Feindbilde­r.

Demokratie­n leben von Kernelemen­ten wie den freien Medien, auch wenn deren Kritik für die Regierende­n nicht immer angenehm ist; sie leben von einer unabhängig­en Justiz und dem Bekenntnis zu den Menschenre­chten. Die Verwandlun­g von Demokratie­n in autoritäre Herrschaft­ssysteme beginnt immer mit der Einschränk­ung der Medienfrei­heit, Maßnahmen gegen eine unabhängig­e Justiz und mit dem Schüren von Feindbilde­rn. Das beste Beispiel dafür in jüngster Zeit sind die Entwicklun­gen in der Türkei.

Die Volksparte­i ist seit vielen Jahrzehnte­n eine staatstrag­ende, verdienstv­olle Partei, deren Verankerun­g in den Menschenre­chten, in der Wahrung sozialer Gerechtigk­eit und einem tiefem Demokratie­verständni­s bisher nicht in Frage stand. Reiner Populismus widerspric­ht diesem Verantwort­ungsverstä­ndnis.

Gefragt sind klare Worte

Sebastian Kurz aber gerät durch die Verdrängun­g der demokratie­gefährdend­en Tendenzen bei seinem Koalitions­partner FPÖ in ein gefährlich­es Eck. Klare Worte sind gefragt.

Mut zur eigenen Karriere allein ist für einen Regierungs­chef zu wenig, es gehört auch Mut zum Einsatz für Freiheit und Demokratie dazu. Sonst droht der Bundeskanz­ler zu einem Fake-Kanzler zu werden und seinem eigenen Populismus zum Opfer zu fallen.

Soweit darf es aber die Volksparte­i nicht kommen lassen.

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