Eine politische Mode setzt sich durch: Sedisvakantismus
An die Stelle echter Opposition tritt Wirklichkeitsverweigerung. Extremisten bestreiten die Legitimität von Autoritäten, die nicht ihrer Meinung sind.
Wenn eine Regierung einmal nicht mehr als legitim gilt, dann heiligt der Zweck, sie zu stürzen, fast jedes Mittel.
Was in Amerika ausgebrütet wird, im Guten wie im Schlechten, landet früher oder später in Europa. Besonders rasch wird von uns übernommen, was die politische Kultur der Amerikaner offeriert. Die Linken importieren Political Correctness und Gender-Mainstreaming, | MeToo und Pussy Hats, Gay Pride, Occupy und vieles mehr; indes lernen die Rechten von Trump und der Tea Party, wie man Kampagnen führt und Wahlen gewinnt.
Auf die steigende Nachfrage in der EU hin will Trumps ehemaliger Chefstratege Steve Bannon nach den Ferien in Brüssel ein Büro eröffnen, um die europäischen Populisten besser inspirieren, anleiten und koordinieren zu können. Ein bei uns hingegen noch wenig bekanntes Phänomen ist der nicht nur, aber vor allem im amerikanischen Katholizismus grassierende Sedisvakantismus. Darunter versteht man die These, Franziskus sei gar nicht Papst, und der Stuhl Petri sei in Wirklichkeit vakant.
Nun gibt es einige gute Gründe, an diesem Pontifikat Kritik zu üben. Der argentinische Papst ist bei kirchenfernen Medien und progressiven Humanisten populärer als bei den Katholiken, die ihn an Wojtyla und Ratzinger messen. Bergoglio beherrscht die große, medienwirksame Geste, aber er vermeidet es, sich theologisch festzulegen. Er pflegt einen diktatorischen Führungsstil, der an Peron´ erinnert, aber er scheut sich, die Kurie zu säubern und zu reformieren. Viele schütteln nur noch den Kopf, wenn er dem Kapitalismus die Schuld für das Elend der Welt gibt, oder wenn er alle Mauern niederreißen will, ausgenommen natürlich die vatikanischen.
In der Geschichte der Kirche gab es schon einige mediokre Päpste. Die Gläubigen trösteten sich damit, dass jedes Pontifikat einmal zu Ende geht, und dass sich der Heilige Geist schon etwas gedacht haben wird. Der Sedisvakantismus der Wutgläubigen aber ist etwas Neues, eine Reformation in den Gewändern der Gegenreformation, ein Phänomen der Protestkultur. Bisher hat wenigstens noch keiner auf den Petersplatz eine Ta- fel mit der Aufschrift „He is not my Pope“mitgebracht.
Hingegen fehlen vergleichbare Transparente auf keiner weltlichen Protestkundgebung. Seit George W. Bush bekam jeder U-Präsident das „He is not my President“zu hören, auch Barack Obama. Bei Donald Trump schallt es nur viel lauter. In Deutschland haben die MerkelGegner den Brauch übernommen. Bei Amazon kann man T-Shirts, Sticker, allerlei Aufkleber und Bierkrüge mit dem Logo „Das ist nicht meine Kanzlerin“bestellen. Auf Facebook gibt es sogar eine Seite „Kurz ist nicht mein Kanzler“. Sie hat es bisher auf fünf Likes gebracht. Für so etwas braucht man halt doch Experten.
Franziskus, Trump, Merkel, Kurz – sie alle wurden auf der Grundlage jeweils gültiger Verfassungen und Wahlverfahren gewählt. Sie üben ihr Amt also zu Recht aus. Wer das bestreitet, verstößt gegen das Grundprinzip der Gemeinschaft. Der Einwand, sie repräsentierten nicht die Werte, die man für moralisch hält, ist irrelevant, denn die, denen man diese Werte zutraut, haben die Wahlen verloren.
Sebastian Kurz ist auch der Bundeskanzler jener Österreicher, die vier Tage in der Woche arbeiten und ein paar Hunderttausend Migranten mehr importieren wollen; Donald Trump ist auch der Präsident der Amerikaner, die mehr Steuern zahlen und keine Mauer zu Mexiko möchten; und Angela Merkel ist auch die Kanzlerin der Deutschen, die ihre Migrationspolitik und ihre Energiewende für irrsinnig halten.
Es ist ein Kennzeichen der Extremisten von rechts und links, die Legitimität gewählter Politiker zu bestreiten. Denn wenn eine Regierung nicht mehr legitim ist, heiligt der Zweck, sie zu stürzen, fast jedes Mittel. „Lasst Nazis nicht regieren“stand auf einem Transparent der Wiener Demonstration gegen die Arbeitszeitflexibilisierung. Für den, der Kurz und seine Minister als „Nazis“delegitimieren will, ist der Pflasterstein ein Argument.