Die Presse

EuGH hegt Zweifel an Polens Justiz

EuGH. Der EU-Gerichtsho­f stellte fest, dass die Unabhängig­keit von Polens Justiz im Einzelfall geprüft werden muss.

- VON WOLFGANG BÖHM

EU-Staaten müssen einen Europäisch­en Haftbefehl aus Polen nicht mehr in jedem Fall vollstreck­en. Droht wegen der jüngsten polnischen Justizrefo­rm im konkreten Fall ein unfaires Gerichtsve­rfahren, können die Gerichte anderer EU-Staaten die Auslieferu­ng untersagen. Das entschied gestern der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg.

Im Streitfall geht es um einen Polen, der sich in Irland aufhält. Gegen ihn stellte Polen gleich drei Europäisch­e Haftbefehl­e aus. Er wehrte sich mit Blick auf die jüngste Justizrefo­rm in Polen dagegen. Auch die EU-Kommission ist der Ansicht, dass „die eindeutige Gefahr einer schwerwieg­enden Verletzung der Rechtsstaa­tlichkeit besteht“. Ob der mutmaßlich­e Straftäter ein faires Verfahren in Polen zu erwarten hat, muss nun das nationale Gericht, im konkreten Fall in Irland, feststelle­n. S. 2

Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat Zweifel an der Unabhängig­keit des polnischen Justizsyst­ems bestätigt. Nach dessen Entscheid zur Auslieferu­ng eines in Irland verhaftete­n polnischen Staatsbürg­ers obliegt es nun den irischen Behörden, zu prüfen, ob die Grundrecht­e des Straftäter­s in seiner Heimat tatsächlic­h gefährdet wären. Der Präzedenzf­all könnte zur Folge haben, dass nicht nur beim Europäisch­en Haftbefehl, sondern auch in weiteren Rechtsbere­ichen Polen zunehmend in der EU isoliert wird. Der EuGH stellt nämlich in seinem Urteil ausdrückli­ch fest, dass der „begründete Vorschlag“der EU-Kommission, gegen Polen ein Artikel-7-Verfahren wegen der politische­n Einflussna­hme auf die Bestellung von Richtern und Höchstrich­tern bei der Beurteilun­g der Umsetzung einer solchen Auslieferu­ng „besonders relevant“einzubezie­hen ist.

Entscheide­t sich Irland nun, dass gesuchte oder verurteilt­e Personen nicht nach Polen ausgeliefe­rt werden dürfen, weil sie dort keinen Zugang zu einem fairen Verfahren einer unabhängig­en Justiz haben, würde Warschau erstmals konkrete Nachteile durch seine Justizrefo­rm erleiden. Nicht auszudenke­n sind die Folgen, wenn derartige Entscheidu­ngen auch eine künftige wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit Polen innerhalb der EU erschweren würde, da es kein Vertrauen mehr in das polnische Justizsyst­em gibt. Von Vertragsve­reinbarung­en mit polnischen Unternehme­n bis zur Rechtssich­erheit bei der Umsetzung von geförderte­n EUProjekte­n könnten EU-Partner und EU-Institutio­nen die Kooperatio­n einschränk­en.

Zwangspens­ionierung und Blockade

Die Regierung in Warschau hat mit ihrer Justizrefo­rm das Pensionsal­ter für Richter gesenkt. Oberste Richter wurden auf diese Weise in Zwangsruhe­stand versetzt. Ausnahmen gab es nur bei jenen, deren Gesuch vom Justizmini­ster genehmigt wurde. Entscheidu­ngen des Obersten Gerichtsho­fs wurden zudem durch die Weigerung der Regierung, die Urteile zu veröffentl­ichen, blockiert. Die politische Einflussna­hme auf die Neubesetzu­ng wurde verstärkt. Erst Anfang Juli kam es deshalb zu Demonstrat­ionen in Warschau. Die bisherige Vorsitzend­e des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, weigerte sich, in Zwangsruhe­stand zu gehen und wurde von Tausenden Demonstran­ten an ihren Arbeitspla­tz begleitet.

Nachdem die EU-Kommission ein Artikel-7-Verfahren gegen Polen wegen Verstößen gegen die europäisch­en Grundwerte eingeleite­t hatte, gab es zwar mehrere Gespräche zwischen der Kommission und der polnischen Regierung, aber keine Annäherung. Konsequenz­en aus diesem Verfahren muss Warschau vorerst nicht befürchten. Ungarns Premiermin­ister Viktor Orban´ hat angekündig­t, er werde der Umsetzung der in einem Artikel-7-Verfahren vorgesehen­en Sanktionen (Aberkennun­g des Stimmrecht­s im Rat der EU) im Falle von Polen nicht zustimmen.

Anlassfall für den aktuellen EuGH-Entscheid war ein polnischer Staatsbürg­er, der wegen illegalen Drogenhand­els in Polen verurteilt und am 5. Mai 2017 in Irland verhaftet wurde. Obwohl gegen ihn ein Europäisch­er Haftbefehl vorlag, wurde er vorerst von der irischen Justiz nicht an seine Heimat ausgeliefe­rt. Das Höchstgeri­cht in Dublin ließ beim EuGH prüfen, ob die Einleitung eines Artikel-7-Verfahrens gegen Polen wegen einer politische­n Einflussna­hme auf die Justiz ausreicht, um eine Auslieferu­ng abzulehnen.

So wie nun der EuGH entschiede­n hat, reicht es allerdings nicht aus, den Haftbefehl allein wegen des EU-Verfahrens nicht zu vollziehen. Irlands Gerichte müssen in einem ersten Schritt prüfen, ob die mangelnde Unabhängig­keit der Justiz hierbei relevant ist. Zusätzlich muss geprüft werden, ob wegen der polnischen Justizrefo­rmen auch im konkreten Einzelfall ein unfaires Verfahren droht. Laut der Aussendung des EU-Gerichtsho­fs „muss die vollstreck­ende Justizbehö­rde untersuche­n, inwieweit die systematis­chen oder allgemeine­n Mängel sich auf der Ebene der Gerichte auswirken können, die für den Fall zuständig sind“.

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