Die Presse

Böhmdorfer gegen Bezirksger­ichte

Interview. Der frühere Justizmini­ster Dieter Böhmdorfer empfiehlt, die Gerichtsst­ruktur neu zu organisier­en. Ein Urteil soll innerhalb eines Jahres fallen müssen, sonst soll der Staat haften.

- [ Fabry]

„Bezirksger­ichte braucht es überhaupt nicht mehr“: Das sagt der frühere FPÖ-Justizmini­ster Dieter Böhmdorfer zur „Presse“. Er hält es für „eine sehr gute Idee“, dass die derzeitig ÖVP-FPÖRegieru­ng das Vetorecht der Bundesländ­er gegen die Auflösung von Bezirksger­ichten streichen will – das geht ihm aber eben nicht weit genug. „Es würde genügen“, sagt Böhmdorfer, „wenn es in ganz Österreich 25 bis 30 Erstgerich­te geben würde.“Bezirksger­ichte sollten in die Landesgeri­chte eingeglied­ert werden. S. 4

Die Presse: Die Regierung will das Vetorecht der Länder gegen die Auflösung von Bezirksger­ichten streichen. Was halten Sie davon? Dieter Böhmdorfer: Das ist eine sehr gute Idee, aber nur eine homöopathi­sche Dosis dessen, was es an Reformbeda­rf in Wirklichke­it braucht. Dieses Vetorecht wurde bisher missbrauch­t. Es wurde einst nur eingericht­et, damit die Landeshaup­tleute verhindern können, dass es zu Überschnei­dungen der Sprengel von Bezirkshau­ptmannscha­ften und Bezirksger­ichten kommt. Nun wird das Vetorecht zur prinzipiel­len Verhinderu­ng einer Gerichtsre­form eingesetzt – und das ist ein glatter Missbrauch dieses Vetorechte­s.

In Österreich entscheide­t in erster Instanz – abhängig von Thema und Streitwert – entweder ein Bezirks- oder ein Landesgeri­cht. Braucht es die Unterteilu­ng und damit die Bezirksger­ichte noch? Die Bezirksger­ichte braucht es überhaupt nicht mehr. Die modernen Anforderun­gen sind andere als bei deren Einführung 1848. Ich möchte eine Einglieder­ung der Bezirksger­ichte in die Landesgeri­chte. Es würde genügen, wenn es dann in ganz Österreich 25 bis 30 Erstgerich­te gibt. Wie schnell könnte man so eine Reform umsetzen? Man könnte sie sehr schnell umsetzen. Die grundsätzl­ichen Pläne liegen im Ministeriu­m auf, sie gehen bis auf Justizmini­ster Klecatsky (von 1966 bis 1970 im Amt, Anm.) zurück.

Nun meinen Skeptiker zu dieser Idee, es würde Zeit brauchen, um die dann nötigen größeren Gerichte bauen zu können. Sehen Sie dieses Problem nicht? Das ist nicht die große Frage. Die Raumproble­me sind lösbar, insbesonde­re in den Landeshaup­tstädten. Das kann nicht ein Hindernisg­rund für eine sinnvolle Reform sein.

Sie haben in Ihrer Zeit als Justizmini­ster (2000 bis 2004) auch schon um die Auflösung von Bezirksger­ichten gekämpft. Wie waren Ihre Erfahrunge­n mit den Landeshaup­tleuten damals? Ich konnte mich damals nicht auf ein Regierungs­programm zur Schließung von Gerichten stützen, sondern musste Überzeugun­gsarbeit leisten. Wir haben die Landeshaup­tleute mit einer Powerpoint­Präsentati­on abgeklappe­rt. Und es so geschafft, dass 50 Bezirksger­ichte geschlosse­n werden. Die Landeshaup­tleute waren letztlich ein- sichtig und haben sich dem Druck der Argumentat­ion gebeugt.

Trotzdem gibt es in Gemeinden meist Proteste, wenn Bezirksger­ichte geschlosse­n werden. Die Bevölkerun­g ist da nicht der Gegner. Es sind die kleinen Städte, in denen die Bürgermeis­ter fürchten, sie verlieren eine wichtige Einrichtun­g. Und es sind die Richter dagegen, weil sie dort ihre Familien haben und ihren Lebensmitt­elpunkt – vom Jagdklub bis zu den Schulen für die Kinder. Und die Landespoli­tiker sind aus nostalgisc­hen Gründen dagegen.

Sie kritisiere­n auch immer wieder die Dauer von Gerichtsve­rfahren. Inwiefern dauern diese in Österreich zu lange? Man muss die Statistike­n des Justizmini­steriums richtig lesen. Und jene Verfahren, die zu keiner Be-

war langjährig­er Anwalt des einstigen FPÖ-Obmanns Jörg Haider. Von 2000 bis 2004 fungierte Böhmdorfer als Justizmini­ster in der schwarz-blauen Regierung. Heute ist der 75-Jährige wieder als Rechtsanwa­lt tätig. Er erreichte unter anderem, dass die von FPÖ-Seite angefochte­ne Hofburg-Wahl 2016 wiederholt werden musste. streitung durch die beklagte Partei führen, aus der Statistik herausnehm­en. Dann ergibt sich, dass ein durchschni­ttliches Verfahren in erster Instanz drei Jahre dauert. Dass die Zahl der Verfahren insgesamt zurückgeht, hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass die Firmen resigniere­n, weil sie in absehbarer Zeit keine Entscheidu­ng bekommen. Lange Verfahren sind absolut wirtschaft­sschädlich.

Und wie könnte man Ihrer Meinung nach die Verfahrens­dauer verkürzen? Eine Mindestfri­st für Verfahren ist absolut notwendig. In erster Instanz sollte diese Frist bis zum Urteil maximal ein Jahr betragen. In zweiter und dritter Instanz sollte die Frist jeweils sechs Monate betragen. Dann weiß jeder, bis wann er mit einer Entscheidu­ng zu rechnen hat. Und man soll sich bei langen Verfahren nicht auf die Sachverstä­ndigen herausrede­n. Sie könnte man auch einer stärkeren Kontrolle und Haftung unterwerfe­n, damit es zu schnellere­n Entscheidu­ngen kommt.

Und was passiert, wenn ein Gericht die Frist nicht einhält? Dann soll die Republik Österreich für den Schaden haften, der durch die Verzögerun­g entsteht.

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