Die Presse

Gericht blockiert Gentechnik-Verfahren

Urteil. Der EuGH weitet die Definition von genmanipul­ierten Pflanzen aus, lässt den Staaten aber freie Hand, wie sie damit umgehen. So wird Österreich­s Gentechnik­freiheit zur Illusion.

- DONNERSTAG, 26. JULI 2018 [ Getty Images] VON MATTHIAS AUER

Der Europäisch­e Gerichtsho­f blockiert in einem Grundsatzu­rteil den Weg für den breiten Einsatz eines umstritten­en Gentechnik­verfahrens. Mit der sogenannte­n Mutagenese-Technologi­e manipulier­te Pflanzenso­rten gelten rechtlich als gentechnis­ch verändert. In der Folge müssten die auf diesem Wege bearbeitet­en Pflanzen auch als gentechnis­ch veränderte Organismen (GVO) gekennzeic­hnet werden.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein gewaltiger Triumph für die Gegner der Gentechnik: Der Europäisch­e Gerichtsho­f ( EuGH) entschied am Mittwoch überrasche­nd – und gegen die Empfehlung seines Generalanw­alts –, dass Pflanzen, deren DNA mittels Mutagenese optimiert wurde, auch unter das strikte EU-Regelwerk für gentechnis­ch veränderte Organismen (GVO) fallen. Damit müssen theoretisc­h auch Saatgut und Nahrungsmi­ttel, die mittels Genome Editing hergestell­t wurden, langwierig­e Zulassungs­verfahren durchlaufe­n und entspreche­nd gekennzeic­hnet werden. Umweltschü­tzer und der heimische Handel feiern. Aber sind genmanipul­ierte Lebensmitt­el tatsächlic­h aus Europas Supermärkt­en verbannt? Die Entscheidu­ng des EuGH lässt einige Schlupflöc­her offen. „Die Presse“hat sich das Urteil genauer angesehen.

1 Was ist die „neue Gentechnik“und was hat der EuGH entschiede­n?

Das oberste EU-Gericht musste sich anlässlich einer Klage französisc­her Landwirtsc­hafts- und Naturschut­zorganisat­ionen damit befassen, ob Saatgut, das mittels Genome Editing verändert wurde, rechtlich als GVO einzuordne­n sind. Anders als bei der klassische­n Gentechnik, schleusen Verfahren wie Crispr/Cas9 kein fremdes Erbgut in die DNA der bearbeitet­en Pflanzen ein. Das Endresulta­t ist von einer vollkommen natürlich gewachsene­n Pflanze nicht mehr zu unterschei­den. Viele Wissenscha­ftler sehen die Methode deshalb auch eher als beschleuni­gte Züchtung, denn als Genmanipul­ation. Der EuGH sieht das offenkundi­g anders. Mutagenese­Verfahren könnten sich als ähnlich riskant erweisen wie das Beifügen von fremdem Erbgut, heißt des in der Urteilsbeg­ründung.

2 Was heißt das? Ist die EU damit gentechnik­frei?

Nein. Erstens umfasst das Urteil lediglich genomediti­erte Produkte, die nach dem Jahr 2004 entwickelt wurden. Ältere sind von der Entscheidu­ng nicht betroffen. Zweitens – und noch wichtiger: Das Gericht legt die Zukunft der neuen Gentechnik im Grunde wieder zurück in die Hände der nationalen Regierunge­n. So ist zwar ein europäisch­es Zulassungs­verfahren für Organismen vorgesehen, die mittels Crispr/Cas9 und Co. geschaffen wurden. Doch sind die Pflanzen grundsätzl­ich genehmigt (was auch für genmanipul­ierte Organismen möglich ist), liegt es an den Mitgliedss­taaten, wie sie weiter damit umgehen. Österreich hat Verkauf und Anbau von gentechnis­ch

veränderte­n Produkten etwa kategorisc­h verboten. Das Gesetz hat es im Land der Gentechnik­skeptiker sogar in den Verfassung­srang geschafft. Deutschlan­d ist in der Frage ähnlich restriktiv. Andere EU-Staaten wie etwa Spanien oder Großbritan­nien lassen genmanipul­ierte Lebensmitt­el hingegen – nach den vorgeschri­ebenen Prüfungen – zu.

3 Wie verhindert Österreich genomediti­erte Pflanzen im Handel?

Kurz gefasst: Vermutlich gar nicht. Offiziell sieht das zuständige Nachhaltig­keitsminis­terium „derzeit keinen Handlungsb­edarf“. Allerdings sei es durchaus problemati­sch, „dass Gentechnik in anderen Mitgliedss­taaten erlaubt ist und damit keine europaweit einheitli- chen Regeln gelten“. Das bringt Österreich­s Politiker in eine aussichtsl­ose Position: Der EuGH verweist in seinem Urteil extra darauf, dass die EU-Mitgliedsl­änder mit ihren nationalen Gentechnik-Regeln den freien Warenverke­hr im gemeinsame­n Binnenmark­t nicht verhindern dürfen. Wien kann also rechtlich gar nicht verhindern, dass etwa genomediti­erte Paradeiser aus Spanien in Österreich landen. Während im Supermarkt eine Kennzeichn­ungspflich­t noch durchzuset­zen ist, fällt bei Gastrobetr­ieben oder verarbeite­ter Ware auch das weg. Dazu kommt, dass mögliche Betrugsfäl­le im Grunde nicht aufzukläre­n sind, weil sich die veränderte­n Pflanzen nicht von ihren natürliche­n Artgenosse­n unterschei­den lassen.

4 Welche Auswirkung­en hat das auf heimische Betriebe und Forscher?

Während die Handelsket­ten das Urteil feiern, haben etliche Industrien im Land mit gewaltigen Wettbewerb­snachteile­n zu rechnen. Allen voran die heimischen SaatgutBau­ern. Während die Konkurrenz Saatgut per Mutagenese in einem knappen Jahr verändern kann, brauchen sie auf „natürliche­m“Wege sieben Mal so lange, um dasselbe Ergebnis zu erzielen. Michael Gohn, Obmann von Saatgut Austria, verurteilt den Entscheid des EuGH als „unwissensc­haftlich und in der Sache falsch“. Züchtung in Europa werde damit „zum Museumsstü­ck“. Auch Landwirte sind im Nachteil, müssen sie ja auf resistente­res Saatgut verzichten, das die Mitbewerbe­r im Nachbarlan­d ganz selbstvers­tändlich einsetzen. Neben Teilen der Agrarbranc­he sieht sich auch die heimische Forscherla­ndschaft als Opfer der strengen Gentechnik­regeln. Die teuren Zulassungs­verfahren in der EU lassen Universitä­ten zurückschr­ecken. Damit gehört das Feld finanzstar­ken Agrochemie­riesen wie Bayer und Monsanto.

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