Liebesdrama, das den Atem raubt
Salzburger Festspiele. Johan Simons inszeniert Kleists „Penthesilea“mit nur zwei Personen. Sandra Hüller und Jens Harzer zeigen das beinharte Ringen eines Paares um Annäherung ohne Selbstaufgabe. Atemberaubend.
Johan Simons inszeniert in Salzburg „Penthesilea“mit Sandra Hüller in der Titelrolle.
Zwei Körper im Dunkeln und ein schabendes Geräusch: „Küsse, Bisse, Risse“oder Penthesilea und Achilles im Fitnessstudio? Beim Sport beginnt heute der Kampf der Geschlechter – oder im Büro. In Maren Ades preisgekröntem Film „Toni Erdmann“ist eine Karrierefrau zu erleben, die einen Mann demütigenden sexuellen Ritualen unterwirft, wie das gelegentlich auch Karrieremänner tun – mit ihren Frauen.
Sandra Hüller spielt Ines, die Tochter eines pensionierten Musiklehrers (hinreißend: Peter Simonischek), der sich verkleidet, um die Aufmerksamkeit seines lang verlorenen Kindes zu gewinnen. Als Altachtundsechziger-Streifen wurde „Toni Erdmann“rezipiert, ein Irrtum. Es geht um die mitunter brutale Einführung des Kapitalismus in den neuen EU-Ländern wie Rumänien und eben um eine Frau, die bei Zoff mit dem Chef ihren Frust privat ablädt.
In Kleists „Penthesilea“, 1808 geschrieben, aber erst 1876 uraufgeführt, geht es nicht um Karrieren. Genauer, die zwei Athleten, die hier auftreten, haben schon Karriere gemacht. Penthesilea, Königin der Amazonen, verliebt sich in den griechischen Helden Achilles. Kleist stammte aus einer alten Offiziersfamilie, mit dem Krieg war er vertraut. Das Stück zeigt Gesetze der Heerführung, Strategien und Bündnisse – aber auch den Dichter als Außenseiter der Gesellschaft, er ringt um Liebe und Anerkennung.
Dauertalk auf schwarzer Bühne
Die Sehnsucht danach treibt uns an, wie die US-Philosophin Martha C. Nussbaum am Sonntag bei einem Vortrag im Salzburger Stefan-Zweig-Zentrum erläuterte. „Angst und Wut, Gift für die Demokratie“, hieß die Rede. Nussbaum hatte ein sehr amerikanisches, also optimistisches Rezept parat: „Menschen brauchen Hoffnung, Glauben an Gerechtigkeit und eine gesunde soziale Organisation!“Dann verzichten sie auf Fremdenhass und andere destruktive Impulse. Die Message kommt nicht unbedingt aus Donald Trumps USA, sondern von den USDemokraten – aber, wer weiß?
Eben: Wer weiß? Zum Beispiel, was es für einen Sinn hat, die extrem schwierige „Penthesilea“-Tragödie – Goethe reagierte mit Abscheu auf das monströse Weib und spielte das Stück nicht in seinem Weimarer Hoftheater – auf zwei Personen zu reduzieren. Oder wieso die beiden Akteure über zwei Stunden im Dauer-Talk auf einer schwarzen Bühne verbringen müssen, ohne Pause. Wieder ein Fall von Schauspielerquälerei? Nun, Johan Simons hat ein klares Konzept: Penthesilea und Achilles zelebrieren ein Ehedrama von heute. Kleists Text, das ist das Erstaunliche, passt prächtig dazu. Allerdings werden an diesem Abend alle die mehr oder weniger herzigen Soaps, mit denen Streaming-Sender ihr Publikum belehren und erfreuen – erst ein kleiner Streit, dann eine große Versöhnung – abserviert. Beziehung, lehrt Simons, ist härteste Knochenarbeit, und mancher geht drauf dabei.
Keiner will sein Leben verlassen
Penthesilea zieht an der Spitze ihres Amazonenheeres den Griechen entgegen. Damit die Amazonen nicht aussterben, brauchen sie Männer, die besten werden sie sich aussuchen, mit ihnen schlafen und sie anschließend entlassen. Persönliche Beziehungen sind nicht erlaubt, was mit der schreckli- chen Geschichte der heldischen Frauen zu tun hat, deren Volk einst Invasoren überrannten. Achill wiederum soll mit dem griechischen Heer Troja erobern, er hat aber keine Lust. Nachdem Penthesilea und Achill einander erblickt haben, sind sie wie hypnotisiert und vergessen alles andere. Das können ihre Völker natürlich nicht akzeptieren.
Aus Kleists Trauerspiel, das sich leichter verfilmen ließe als sprechen, formt Simons ein Liebesdrama und zeigt die tödliche Umklammerung eines Paares. Dabei sind die beiden manchmal auch komisch, wenn sie grotesk triumphieren, gleich darauf wieder verlieren oder wenn sie sich gegenseitig die Füße liebkosen, die berühmte erogene Zonen sind. Penthesilea und Achilles erleben, was viele Paare kennen, man naht sich zufällig, beginnt zu plaudern, Faszination stellt sich ein, man nähert sich einander an. Doch dann kommt die knifflige Frage: Zu dir oder zu mir? Bei einem One-Night-Stand mag das egal sein, aber wenn jeder der beiden Partner ein Königreich hat (oder einen Job in einer anderen Stadt), wird es mühsam. Achilles ist immer wieder entsetzt über die Radikalität der Amazonen: Busen ausreißen? Echt jetzt? Sagt sein verstörter Blick.
Mit der Zeit verwandelt er sich in einen Softie. Die Frau merkt es nicht, sie wird zur Furie und reißt ihn buchstäblich in Stücke – wie manche Partnerin ihren Partner, nachdem sie jahrelang alles ertragen hat. Die alten Griechen, erläuterte Philosophin Nussbaum, projizierten das Abgründige auf die Frau, die am Ende der Atriden-Saga verwandelt wird: Aus den schaurigen Rachegöttinnen, den Erinnyen, die ihre Opfer zu immer neuen Morden (Blutrache) anstacheln, werden die sanftmütigen Eumeniden, Bürgerinnen des neuen Athen. Patriarchat statt Matriarchat: Die Folge ist nämlich, dass sich die Athenerinnen den Athenern unterordnen. Penthesilea aber pocht auf Eigenständigkeit.
Im erotischen Rausch der Rhetorik
Sandra Hüller passt nicht ins Bild der überhöhten Heldin aus einem Fantasyreich, zart und durchtrainiert steht sie da, manchmal zwitschert sie, aber einwickeln lässt sie sich nicht. Auch Jens Harzer ist das Gegenteil eines strammen Muskelprotzes.
Diese zwei Schauspieler zeigen eben nicht die Annäherung von gottähnlichen Mythengestalten, sondern sie führen glaubwürdig einen Clash of Civilisations vor, den es ja nicht nur auf der Welt, sondern auch in Beziehungen gibt. In dem Moment, da zwei Menschen nicht mehr verzaubert sind, sondern zu reden anfangen, sich miteinander abstimmen müssen, wird die Begeisterung oft schnell gedämpft. Dieser Gedanke findet sich in den vielen klugen Aufsätzen im Programmheft – und er stimmt. Reden schafft erotische Spannung, aber dass man einander im Rausch der Rhetorik auch besser versteht, ist nicht ausgemacht.
Hüller und Harzer sind wunderbar, allein wie sie technisch die Blankverse bewältigen ist atemberaubend. Hier wird nicht auf oberflächliche Weise einem Klassiker Aktualität aufgepappt und diese womöglich mit Videos illustriert, sondern hier ergibt sich alles aus dem Stück, aus Bewegungen, die sparsam, treffend und ja eben auch filmisch sind. Kleists Sprache wirkt nicht bombastisch, sondern klar. Ein schöner, spannender Abend bei den Salzburger Festspielen, der allerdings intensives Hinhören und Sicheinlassen auf das Geschehen erfordert. Am besten, man liest vorher den Text.