Rhetorische Achse Rom–Washington
Europa-Kritik. Die Vorwürfe an die EU klingen in Italien und den USA ähnlich, speisen sich aber aus anderen Quellen.
Dass Giuseppe Conte am gestrigen Montag von US-Präsident Donald Trump in Washington empfangen wurde, hat weniger mit der Person des italienischen Premierministers selbst als vielmehr mit den Parteien zu tun, die der 54-jährige Jurist repräsentiert: Mit der Koalition der eher linksorientierten Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega wird Italien als erstes EU-Mitglied von einem populistischen Zweiergespann regiert, und zwar ohne mäßigenden Einfluss einer Mainstreampartei. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Trump, der sich selbst zum populistischen Outsider hochstilisiert, die Entscheidung der italienischen Wähler begrüßt hat. Conte selbst sprach Anfang Juni nach seinem ersten Treffen mit Trump am Rande des G7-Treffens von „neuer Freundschaft und historischer Allianz“zwischen Italien und den USA.
Die Frage, ob sich diese Allianz mit Inhalten füllen lässt, ist bis dato unbeantwortet geblieben – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit von den transnationalen Institutionen EU und Nato arrangiert werden. Nichtsdestoweniger haben Trump und die italienische Links-rechts-Regierung – zumindest auf symbolischer Ebene – zwei Feinde und einen Freund gemein: nämlich Migranten und Europa als vermeintliche Antagonisten und Russlands Staatschef, Wladimir Putin, als Partner in spe.
Die Ablehnung der Einwanderung im Allgemeinen und Skepsis gegenüber Flüchtlingen im Speziellen werden in der italienischen Koalition vor allem vom Juniorpartner Lega und dessen Chef und Innenminister, Matteo Salvini, artikuliert. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die sich ursprünglich für Toleranz gegenüber Einwanderern eingesetzt hat, hat ihre Position teilweise revidiert und will nun der illegalen Einwanderung einen Riegel vorschieben. Beim Lieblings- feind Nummer zwei, der EU, tun sich die Italiener schwerer als Trump, der seine Kritik taktisch einsetzt und seine Haltung an das Tagesgeschehen anpasst – so mutierte Europa nach dem jüngsten Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Trumps Augen vom illoyalen Widersacher zum geschätzten Partner.
Sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung als auch die Lega haben die Ablehnung der Brüsseler Behörde in ihren politischen Genen. Am Sonntag musste Luigi Di Maio, Vizepremier und Chef der Fünf Sterne, Berichte dementieren, wonach Beppe Grillo, der Gründer und Spiritus Rector der Partei, eine Volksabstimmung über den Austritt Italiens aus der Eurozone ins Spiel gebracht haben sollte. Angesichts der Stimmungslage in Ita- lien spricht sich weder Di Maio noch Salvini für einen EU-Austritt aus. Auch die Euro-Mitgliedschaft wird (zumindest offiziell) hochgehalten.
Die europäische Einheitswährung ist nicht nur Grillo, sondern auch Trump ein Dorn im Auge – wenn auch aus einem anderen Grund: Der US-Präsident wirft den Europäern vor, den Euro künstlich zu verbilligen, um mehr in die USA exportieren zu können. Mit der italienischen Kritik verhält es sich genau umgekehrt: Der Wunsch nach einer Rückkehr zur Lira wird nicht zuletzt damit begründet, dass sich die wiedererlangte monetäre Souveränität dazu einsetzen ließe, die neue Währung abzuwerten, um die Exporte anzutreiben.