Jeder soll Wahlen anfechten können
Reform. Jusstudenten mit Pflichtfach Wahlbeisitzer, Geld für Hofburg-Kandidaten und das Recht auf eine zweite Wahlkarte, wenn die erste fehlt? Bald wird über ein neues Wahlrecht beraten.
Wahlkarten, die nicht ankommen. Parteien, die nur mehr schwerlich Beisitzer finden. Oder auch das harte Los jener Kandidaten, die ohne große Unterstützung der Parteiführung ein politisches Amt erhalten wollen. Es sind Probleme wie diese, über die am 13. September auf Expertenebene im Parlament debattiert wird.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) lud dazu die Verfassungssprecher der Parteien, aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft ein. Mit an Bord: die von Wahlrechtsexperten gegründete Initiative wahlbeobachtung.org, die mit einer Reihe von Reformideen aufwarten will.
1 Geringere Hürden für den Parlamentseinzug per Vorzugsstimme.
„Das Vorzugsstimmensystem ist zu kompliziert“, sagt Armin Rabitsch von wahlbeobachtung.org über die geltenden Regeln. Und es sei in Österreich zu schwer, als Kandidat mit Vorzugsstimmen ins Parlament zu kommen, meint Rabitsch, der sich für die UNO und die OSZE schon mit dem Wahlrecht in mehreren Ländern beschäftigt hat.
Um durch Vorzugsstimmen nach vorn gereiht zu werden, benötig man als Kandidat momentan im Regionalwahlkreis 14 Prozent der Stimmen, die auf die eigene Partei fallen. Im Landeswahlkreis sind es zehn, bundesweit sieben Prozent. Ein Vorzugsstimmensystem auf Bundesebene würde reichen, meint Rabitsch im Gespräch mit der „Presse“. Und man sollte die Hürde auf fünf Prozent senken, meint er, um den direkten Parlamentseinzug zu erleichtern.
2 Stärkung unabhängiger Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl.
Während es für Parteien in Österreich hohe Förderungen gibt, erhalten Kandidaten zur Bundespräsidentschaftswahl nichts. Damit sind unabhängige Kandidaten im Nachteil. Die Initiative wahlbeobachtung.org will das durch die Einführung eines Prämiensystems ändern. Je mehr Stimmen ein Kandi- dat bei der Präsidentschaftswahl erhält, umso höher soll diese Prämie ausfallen.
3 Jeder Stimmberechtigte soll künftig Wahlen anfechten können.
Hat ein Bürger oder auch ein einfacher Kandidat den Eindruck, dass bei der Wahl etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, kann er wenig machen. Nur der Zustellungsbevollmächtigte einer Partei kann etwa Nationalratswahlen beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten.
Internationale Abkommen würden vorsehen, dass aber jeder Bürger das Recht haben müsse, die Überprüfung einer Wahl einzuleiten, sagt Rabitsch. Auch Österreich solle diese Möglichkeit einführen.
Gleichzeitig sollen Wahlen aber nur noch dann zur Gänze aufgehoben werden, wenn Manipulationen mit Auswirkungen auf das Ergebnis auch tatsächlich nachgewiesen werden können.
Zudem fordert die Initiative, dass Kandidaten bzw. Parteien bereits vor dem Urnengang eine Gerichtsentscheidung verlangen können. Etwa, wenn es um die Frage des Listenplatzes oder die Nichtzu- lassung von Kandidaten geht. Momentan muss man erst die Wahl abwarten, bevor man sich an den VfGH wenden darf.
4 Zweite Chance, wenn bei der Wahlkarte etwas schiefgeht.
Wahlkarten sollten mit einem Strichcode versehen werden, fordert Rabitsch. Wenn dann im Versand etwas schiefgehe (die Karte kommt nicht an, oder schlechter Klebstoff lässt sie aufgehen), könne es leicht zu einem Austausch kommen, indem man die alte Wahlkarte für ungültig erklärt.
Die Wahlkarten auszählen sollen nach Wunsch der Initiative künftig die Gemeinden selbst, und keine höhere Wahlbehörde mehr. Und zwar gemeinsam mit den am Wahltag an den Urnen abgegebenen Stimmen, wodurch das Wahlgeheimnis auch in kleinen Gemeinden gewahrt bleibt.
Jeder Wähler soll anhand einer Codeabfrage zudem künftig nachschauen können, ob seine Wahlkarte gezählt wurde. Und falls nicht, soll der Wähler den Grund dafür erfahren (zu spät per Post eingelangt, Unterschrift auf der Wahlkarte vergessen etc.).
5 Jusstudenten sollen verpflichtend, andere freiwillig Wahlbeisitzer sein.
Um die Suche nach Wahlbeisitzern abseits von Parteigängern zu erleichtern, soll sich jeder dafür melden können. Für Studenten der Rechts- oder Politikwissenschaften könnte das Wahlbeisitzen zu einer Art verpflichtenden Lehrveranstaltung gemacht werden, meint Rabitsch. Dafür sollen Wahlbeisitzer eine einheitliche Entschädigung (etwa 50 Euro pro Tag) erhalten.
Zudem fordert die Initiative, dass Wahllokale in ganz Österreich gleich lang offen haben sollen. „Damit auch ein Jugendlicher im ländlichen Raum nicht bis zwölf Uhr wählen muss“, sagt Rabitsch.