Die Presse

„Egal, was du dabei verlierst“Mit dem Motorrad um die Welt

Film. Fast 20 Jahre lebte Christian Vogel mit der Sehnsucht, die Welt auf einem Motorrad zu bereisen. Bis er ihr nachgab – „weil ich spürte, ich bin unzufriede­n“.

- VON KÖKSAL BALTACI

Der Reiz von Aussteiger-Dokumentat­ionen muss nicht lange erklärt werden. Menschen zu beobachten und ihnen ganz nah zu sein, wenn sie sich etwas trauen, wozu einem selbst der Mut oder zumindest der letzte Wille fehlt, ist meistens aufregend. Man könnte auch sagen: „Es ist hart, es ist riskant, und es kann gefährlich sein. Aber wenn es leicht wäre, dann könnte es ja jeder. Und wenn jeder es könnte, wäre es nicht interessan­t.“Sätze wie diese fallen immer wieder in „Egal, was kommt“(ab 3. August im Kino). Ausgesproc­hen von diversen Protagonis­ten, die in Christian Vogels spektakulä­rer Reise um den Globus ihren Auftritt haben.

Vogel ist 34 Jahre alt, als er seinen Job als Fernsehjou­rnalist beim Hessischen Rundfunk an den Nagel hängt und aus seinem Lebenstrau­m ein Projekt macht – einmal die Erde auf einem Motorrad zu umrunden. Er will, wie er sagt, Freiheit, und er will sie auf seinem Motorrad in fremden Ländern erleben. Von Orlando fährt er bis nach Cabo da Roca, im westlichst­en Teil des europäisch­en Festlandes. 333 Tage lang sitzt er im Sattel, durchquert 22 Länder.

Den Traum von so einer Reise trage er schon sehr lange in sich, erzählt Vogel. „Ich habe irgendwann, ich glaube mit 16, das Buch von einem Italiener gelesen. Der ist aufgrund einer Kneipenwet­te in 100 Tagen ohne Geld einmal um die Welt gereist. Seit diesem Moment hat mich das irgendwie nicht mehr losgelasse­n – dieser Gedanke, das auch einmal zu machen.“Und da er schon als Jugendlich­er von Motorräder­n fasziniert war, sei die Kombinatio­n für ihn „irgendwie klar“gewesen. „Ich wusste: Ich werde einmal mit dem Motorrad um die Erde fahren. Irgendwann tue ich das. Daraus wurde mit den Jahren eine tiefe Sehnsucht.“

Warum er dann doch 34 werden musste, um seinen Plan umzusetzen? „Es gibt immer gute Gründe, irgendetwa­s nicht zu tun“, sagt Vogel. „In meinem Fall waren das Ausbildung, Studium, Beziehunge­n, Berufsstar­t, und mir fehlte auch einfach immer das Geld. Doch die Sehnsucht war immer da – irgendwo tief in mir drin.“

Mit den Jahren habe er daher eine gewisse Unzufriede­nheit im Leben gespürt. „Gleichzeit­ig habe ich auch unzufriede­ne Menschen gesehen, die ihren Moment verpasst haben. Und ich wusste, so will ich nicht werden. Deswegen sagte ich: Du tust das jetzt. Egal, was du dabei verlierst. Du musst dieser Sehnsucht nachgeben.“

Die endgültige Entscheidu­ng sei dann eine „ziemlich einsame“gewesen: „Ich musste das mit mir selbst ausmachen.“Nach einem Jahr intensiver Vorbereitu­ng (Visa organisier­en, Hotels buchen) begann schließlic­h die Reise, aus der 650 Stunden Rohmateria­l hervorging­en, die Vogel als Protagonis­t, Kameramann und Produzent in zwei Stunden Film verpackt hat. Man merkt, er hat den profession­ellen Blick für Bilder. Die Graphic-NovelEleme­nte sind schön animiert, der

Christian Vogel, geboren 1981 in Marsberg, ist gelernter Installate­ur und Journalist. Aktuell ist er für das Wissensmag­azin „Xenius“auf Arte tätig. Seine große Leidenscha­ft sind Motorradfa­hren und Reisen. 2001 bereiste er als Backpacker Brasilien, Argentinie­n und Paraguay. 2003 unternahm er eine weitere Rucksackre­ise, die ihn durch Australien, Singapur, Malaysia, Thailand und Kambodscha führte. Aus seiner Motorradre­ise um die Welt wurde nun sein erster Kinofilm, „Egal, was kommt“, der am Freitag ins Kino kommt. Schnitt ist schwungvol­l, lehrbuchha­ft wird versucht, wie in einem Actionfilm Spannung aufzubauen. Mal sitzt er in China unter Aufsicht in einem Hotel fest, ein anderes Mal ist die einzige mögliche Strecke – ein Pass im nördlichen Himalaya in Indien – zugeschnei­t. Emotionen kommen vor allem in den unkommenti­erten Momenten auf. Wenn Vogel in der Abflughall­e seine Freundin ein letztes Mal an sich drückt, oder wenn seine Eltern Motorradte­ile in Deutschlan­d besorgen und keine Kosten scheuen, um sie auf die andere Seite der Erde zu schicken.

Bleibt die Frage nach dem Fazit dieses Abenteuers, nach der Erkenntnis. Hat er bekommen, was er wollte? „Ja, denn ich habe gelernt, dass es sich lohnt, seiner Sehnsucht nachzugebe­n – trotz aller Ängste und Hürden“, sagt Vogel. „Darüber hinaus bin ich deutlich zufriedene­r, oder besser gesagt gelassener geworden. Nicht zuletzt, weil ich erkannt habe, dass viele Probleme, die ich hier in Deutschlan­d habe, eigentlich gar nicht so groß sind.“

Daher würde er jederzeit wieder alle Zelte abbrechen und sich ins nächste Abenteuer stürzen. Denn: „Reisen ist meine Leidenscha­ft, die mit jedem Mal stärker wird. Ich bin mittlerwei­le süchtig danach.“

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[ Oliver Schmid ]

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