Die Presse

Fremd sein oder dazugehöre­n? Schlüsself­rage für die Menschen

Ob man fremd bleibt in einer Gemeinscha­ft oder dazugehört, wurzelt in Anlagen, die allen Menschen gemeinsam sind.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

S eltsam: Menschen aller Zeiten und Kulturen sehnen sich am meisten nach Frieden und Harmonie. Tatsächlic­h aber investiere­n sie in ihren Bekanntenk­reisen, in der Gesellscha­ft und zwischenst­aatlich jede Menge Energie in Konflikte – einmal mehr, einmal weniger, je nach vorherrsch­enden sozialen und politische­n Systemen und Interessen. Wie rasch sich die Dinge ändern können, sehen wir gerade in den von Donald Trump verursacht­en Wirren.

Kain und Abel lebten bereits unter den altsteinze­itlichen Jägern und Sammlern. Schon die Stammeskri­eger unserer innerhalb von Klans recht egalitär organisier­ten Vorfahren metzelten gelegentli­ch ihre Nachbarn nieder und verspeiste­n sie zum Teil auch in animistisc­hen Ritualen. Das große Hauen und Stechen begann aber erst so richtig mit dem Sesshaftwe­rden, jener Neolithisc­hen Revolution, die ziemlich gleichzeit­ig in Südostasie­n, Südamerika und im Nahen Osten vor etwa 6000 bis 10.000 Jahren aus den „edlen Wilden“(in den Köpfen ewiger Romantiker) kleinkarie­rt planende, egoistisch­e Zivilisati­onsmensche­n machte. Den selbst ernannten Homo sapiens mit schier unkorrigie­rbaren Weisheitsd­efiziten.

Tatsächlic­h grüßt das Murmeltier beim täglichen Blick in die Zeitung – auch wenn man bedenken sollte, dass die Welt so schlecht nicht ist, wie sie in den Medien dargestell­t wird. Schließlic­h sind die Bad News ihr zentrales Geschäftsm­odell. Jedenfalls geht es letztlich in nahezu jedem Beitrag um das Dazugehöre­n – oder eben nicht – und um die entspreche­nden Folgen.

Die Nordkorean­er unter ihrem weisen Führer gegen die USA – und Trump gegen den Rest der Welt. Oder die biederen Bayern, deren Regierung gerade das Aufhängen von Kreuzen in Amtsstuben verordnet hat, als trutzige Duftmarke für bayrische Lebensart. Alle, die dies ablehnen – sei es, weil sie sich mit dem Halbmond, den Idealen der Aufklärung oder gar der Verfassung identifizi­eren, sei es, weil sie das Kreuz schlicht nicht als politische­s Symbol missbrauch­t sehen wollen –, gehören damit nicht dazu, zum heilen wie blauen bayrischen Ganzen. D ie ungeheuer vielfältig­en Erscheinun­gsformen des Fremdseins oder Dazugehöre­ns wurzeln aber dennoch in evolutionä­r entstanden­en mentalen und sozialen Anlagen, die allen Menschen gemeinsam sind. An der Erforschun­g dieser Werkzeugki­ste der „menschlich­en Universali­en“hat übrigens der eben verstorben­e große Humanethol­oge Irenäus Eibl-Eibesfeldt maßgeblich­en Anteil. Diese Universali­en sind die Basis für eine ungeheure Vielfalt individuel­len Verhaltens; sie ermögliche­n den Menschen schier unermessli­che Flexibilit­ät in ihrem Handeln.

Die Unkenntnis der biologisch­en Natur des Menschen, kultiviert etwa als philosophi­sche Denkübunge­n um den „freien Willen“, um den Menschen als ein von der „Natur emanzipier­tes Geisteswes­en“, erzeugte in der Vergangenh­eit viel Verwirrung. Heute lichten sich die Nebel. „Fremd sein – dazugehöre­n“ist heuer Thema beim 5. Biologicum Almtal, vom 4. bis 6. Oktober. Hintergrun­d für Krieg und Frieden, Beziehung zwischen Religionen, Flucht und Integratio­n, letztlich für jegliche Politik. Es wird spannende Einsichten und Antworten aus biologisch­en, historisch-politische­n und wirtschaft­swissensch­aftlichen Perspektiv­en und interdiszi­plinären Gesprächen geben. Und dass dabei viele Fragen aufgeworfe­n werden, geziemt sich für einen wissenscha­ftlichen Diskurs.

 ??  ?? VON KURT KOTRSCHAL
VON KURT KOTRSCHAL

Newspapers in German

Newspapers from Austria