Die Elite der Kammermusik ehrt Brahms
Das Belcea Quartet konzertiert bei den Salzburger Festspielen mit Meisterbratschist Antoine Tamestit.
Keiner erkannte den Fortschrittsgedanken bei Brahms treffender als Schönberg: Als Traditionalist verschrien, hat der knorrige Alte mit dem langen Bart der Neuen Musik den Weg gewiesen. Auch Friedrich Cerha hat das überzeugend bestätigt. Bela´ Bartok´ scheint es zumindest intuitiv gespürt zu haben – was auch dem ersten Festspiel-Kammerkonzert am Mittwoch im Mozarteum zu entnehmen war. Das Programm des Belcea Quartet und des französischen Violastars Antoine Tamestit schien einer zweifachen Dramaturgie zu folgen: hier vier Abschiedsmusiken (wie der vorzügliche Einführungstext suggeriert), dort die Architektur, „fortschrittliches“Tüfteln und Experimentieren am musikalischen Material.
Zu Beginn Bartoks´ Sechstes Streichquartett, das letzte Werk aus dem Herbst 1939, das dem bald darauf emigrierten Ungarn noch in Europa gelang, ehe der Wahnsinn sich breitmachte. Im Finalsatz zieht sich Bartok´ in eine stilisierte Brahms-Welt zurück: Melancholie, intime Einsamkeit bis zur Auflösung. Das Belcea Quartet spielt mitreißend beredsam, musikalisch brillant und überzeugend. Das ist die Elite der Kammermusik!
Daraufhin ein spannender Solo-Doppelpack von Antoine Tamestit auf seiner einzigartigen Stradivari: Ein Thema beherrscht ein feingliedriges Gefüge sowohl bei Bernd Alois Zimmermann wie bei Bach – 235 Jahre liegen dazwischen. Für seine verstorbene Tochter findet Zimmermann ein inniges, dabei intellektuell kompliziertes Gebet: Das Hauptthema wird bereits kommentiert und variiert, noch ehe es de facto aufgetaucht ist. Spiralförmige Spannung baut sich auf, zum Schluss ein paar Pizzicati: Erschütterung pur. Dann „die“Chaconne, diesmal auf der Bratsche – etwas problematisch, als wollte man Tamino in der Papageno-Lage hören. Es sollte nicht nach einer Zugabe im offiziellen Programmablauf aussehen, solange ein Tausendsassa wie Tamestit am Werk ist – mit bedächtigem Tempo und scharfem Blick auf Strukturen.
Das große Finale gehörte Brahms’ G-Dur-Quintett op. 111, das in dieser Besetzung auch vergangenen Herbst im Wiener Konzerthaus exemplarisch erklang, wo Tamestit Porträtkünstler der Saison war. Der herzhafte Zugriff des alten Brahms, der aus dem überquellenden Material auch mit links eine Symphonie hätte formen können, lag bei Belcea & Co. in bestmöglichen, so seriösen wie spontanen Händen und Fingern. Fehlte noch Mozart. Voil`a: Andante aus dem C-Dur-Quintett, Respekt vor dem Genius Loci. Wer kann, der kann!