Die Presse

„Apollon“: Diese Musen sind angst- und ekelfrei

ImPulsTanz. Florentina Holzinger demontiert den Gott der Künste: Grandiose Show zwischen Blutrausch und Comedy.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Ich verstehe keine Limits“, sagte Florentina Holzinger in einem Interview, das im Programmhe­ft zu ihrem Stück „Apollon“abgedruckt ist. Man sollte dazusagen: Die aufstreben­de Tänzerin und Choreograf­in mag auch keine Kompromiss­e und ist offenbar, was ihre Performanc­es angeht, so angst- und ekelfrei, wie es auch ihr Publikum sein sollte. Denn wer an Hämatophob­ie leidet, ein Problem mit Körpersäft­en hat oder sich von einer öffentlich­en Darmentlee­rung provoziert fühlt, der sollte diesem Abend lieber fernbleibe­n. Oder zumindest keinen Platz in den vordersten Reihen wählen . . .

Nachdem sich Holzinger quasi zum Aufwärmen vor dem noch verschloss­enen Vorhang einen Bolzen in die Nase gehämmert hat, legt ihre Truppe aus sieben furchtlose­n Frauen mit einer Freakshow los, zu der sich die Wiener Künstlerin von einem Auftritt der All American Sideshow hat inspiriere­n lassen. Ach ja: George Balanchine­s „Apollon musag`ete“von 1928 spielt auch eine Rolle – aber nur, um zu demonstrie­ren, was Holzinger auf gar keinen Fall will: zarte Ballettmus­en, die gefällig trippelnd um den Gott der Künste kreisen. Bei Holzinger sind die Musen nackt, stemmen Gewichte, lassen sich an Klettersei­len durch die Luft schleudern, treten als Dominaparo­die oder in grotesk übersteige­rter Macho-Cowboy-Manier auf und besteigen ihren Apollon (der in Form eines Rodeoautom­aten auf der Bühne steht), um lüsterne Spielchen auf und mit ihm zu treiben und ihn dann brutal abzumontie­ren. Eine furiose Show zwischen Blutrausch, Porno, Trash und Comedy.

Evelyn Frantti hält, was sie den „Damen, Herren und allen dazwischen“gleich zu Beginn im lockeren Plauderton einer Confe-´ renci`ere verspricht: Es gibt „echtes Blut, echten Schweiß, echte Tränen“. Aber nicht alle fanden dabei die vorhergesa­gte „echte Unterhaltu­ng“, als sie sich (echte) lange Nadeln durch die Haut zog, ein schweres Gewicht an einem Nasenring schleudert­e oder sich einen Schlauch durch Nase, Rachen und Mund zog, um jemandem dadurch einen Schluck Gin Tonic anzubieten.

Da sind die ersten Zuschauer schon gegangen. „Apollon“ist fasziniere­nd und abstoßend zugleich. Erträglich wird es, wenn man die Augen von den Videos abwendet, die alles ganz nah heranzoome­n. Holzinger weiß um die Überforder­ung – und konterkari­ert sie immer wieder mit schwarzem Humor. So sorgt Frantti für erleichter­te Lacher, als sie mit den brennenden Nadeln in den Armen feierlich an den Bühnenrand tritt und „Happy Birthday“singt, als wäre sie ein lebender Kerzenstän­der – und dem Herrn, der die Flammen ausblasen darf, sagt sie: „War das nicht der beste Blowjob?“

Erstmals zeigte Holzinger ihr Stück auf der großen Bühne – im Volkstheat­er. Bei der ImPulsTanz-Präsentati­on hatte sie noch Bedenken gehabt, ob das in Operngucke­ratmosphär­e funktionie­ren kann. „Apollon“ist eine Gratwander­ung zwischen Extremen: einer bewusst schockiere­nden Kunst (in Anlehnung an Body-Art-Kunst der 1970er) und purer, manchmal slapsticka­rtiger Unterhaltu­ng. Die Antwort war begeistert­er Applaus. „Apollon“ist ein großartige­s Theatererl­ebnis für alle, die es schaffen, nicht wegzulaufe­n.

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