Ein Flüchtlingshelfer packt aus: „Bis heute schlaflose Nächte“
Warum es eine ganz gute Idee wäre, eine unabhängige Untersuchungskommission damit zu beauftragen, die Ereignisse des Herbsts 2015 auszuleuchten.
Wie Hunderte anderer freiwilliger Helfer des Roten Kreuzes bekam Michael N., wie wir ihn hier nennen wollen, am 15. September 2015 eine SMS der Hilfsorganisation mit der Aufforderung, sich am nächsten Tag um 6 Uhr früh an einem Sammelpunkt in Wien einzufinden. Drei Monate lang half N., im Brotberuf Bau-Ingenieur, den Migrantenstrom nach, aber vor allem durch Österreich einigermaßen zu bewältigen.
Was er – und mutmaßlich viele andere auch – damals gesehen, erlebt und gehört hat, ist eine bis heute im Wesentlichen nicht wirklich erzählte Geschichte. Ganz jener Eigenart der österreichischen Seele folgend, wonach Vergangenes besser zugedeckt, vergraben und vergessen werden soll, ganz besonders, wenn es sich um etwas problematischere Aspekte dieser Vergangenheit handelt. Michael N. scheint mit dieser bewährten Art der Vergangenheitsbewältigung durch Verdrängung allerdings seine Probleme zu haben. Und deshalb machte er dieser Tage auf Facebook seine subjektive Sicht dieser Monate öffentlich.
„Heute noch hab ich schlaflose Nächte,“schreibt er, „weil mir bewusst ist, dass ich während der drei Monate Handlungen gesetzt habe, die nicht rechtens waren, ich sie aber in meiner Treue und im Auftrag der Republik ausgeführt habe . . . Wie viel IS-Kämpfern, Sträflingen nach Öffnung der Gefängnisse in Syrien durch den IS haben wir, unter meiner Mitwirkung, zu neuen Identitäten verholfen, für welche Attentate auf europäische Zivilisten bin ich mitverantwortlich, weil ich in gutem Glauben einen Zettel als Basis für einen Asylantrag ausgefüllt habe?“
Mag sein, da lädt sich einer gar viel auf die eigenen Schultern – trotzdem ist es eine nicht ganz unberechtigte Frage, die hierzulande bis heute weder geklärt noch auch nur untersucht worden ist. „Unsere Politiker haben sich nur mal kurz bei einer Essensausgabe am Bahnhof fotografieren lassen, die ,Drecksarbeit‘ haben wir Zivilisten erfüllt“, erinnert sich N. „Wenn aber irgendwann einer vielleicht ein Messerattentat ausübt oder eine Bombe zündet, frag ich mich immer wieder, ob nicht ich der war, der dieser Person ohne Pass im guten Glauben ein Vorformular zum Eintritt in die EU verschafft hat.“Dem offiziellen Österreich scheint diese Frage herzhaft wurscht zu sein, jedenfalls ist herzlich wenig darüber bekannt, dass diese Zusammenhänge je ernsthaft ausgeleuchtet worden wären.
Aufklärungswürdig wäre auch, was der einstige Helfer an juristischen Abenteuerlichkeiten zu berichten hat. Ihn plagt bis heute, „. . . dass ich aus einer pakistanischen Familie mit sechs Kindern ohne Pässe, ohne Verwandtschaftsnachweis etc. ein Vorformular für diese eine syrische Standardfamilie zusammenbasteln durfte, war irre. Wie vielen Tausenden Personen wir damals nicht nur neue Staatsangehörigkeiten verschafft haben, wie viele Scheinfamilien wir legalisiert haben, bleibt verschwunden . . .“Aber weil gerade im Land der „Fledermaus“bekanntlich „glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, wird das wohl nie aufgeklärt werden. Obwohl einiges aktenkundig geworden ist: „Es gab zweifellos nette Personen (unter den Migranten, Anm.), ganz am Anfang, aber dann . . . 2 Wochen später, Ende September: täglicher Einsatz des BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung), der Kripo, Drogendezernat, aber alle weitergeleitet nach Deutschland . . .“
Mag sein, dass Michael N. die Ereignisse von damals durchaus subjektiv sieht – plausibel ist, was er sich da von der Seele geschrieben hat, allemal. Dabei geht es nicht einmal primär um eine strafrechtliche Bewertung jener Vorgänge, sondern viel eher um eine offene und ehrliche Dokumentation dessen, was sich damals wirklich abgespielt hat, wer welche Rolle gespielt hat und wo es allenfalls zu Rechtsbrüchen gekommen ist, und sei es aus guter Absicht. Das alles aufzurollen wäre längst überfällig. Eine unabhängige Untersuchungskommission wäre vielleicht keine besonders schlechte Idee.