Die Presse

„Die Grenzen des Sagbaren ausdehnen“

Die Innsbrucke­r Philosophi­n Marie-Luisa Frick plädiert dafür, in politische­n Debatten die Toleranzgr­enzen auszudehne­n. Andere Weltanscha­uungen vorschnell zu ächten und ihre Vertreter zu beschämen schade der Demokratie.

- VON CORNELIA GROBNER

ber Geschmack lässt sich nicht gut streiten, über Politik hingegen schon. Die Philosophi­n Marie-Luisa Frick fordert eine zivilisier­te politische Streitkult­ur und mehr Zivilcoura­ge in sozialen Netzwerken.

Die Presse: Wer glaubt, mit seiner Meinung auf Widerrede zu stoßen, schiebt nicht selten trotzig den Nachsatz „Das wird man doch noch sagen dürfen“hinterher. Ein Totschlaga­rgument. Aber soll man im Streit denn wirklich alles sagen dürfen? Marie-Luisa Frick: Grundsätzl­ich braucht es auch im Streiten Grenzen des Sagbaren. Damit meine ich Gewaltaufr­ufe und unter Umständen auch Fälle von Hate Speech, also Hassrede, die Menschen dehumanisi­ert. Für solche Extreme gibt es aus guten Gründen rechtliche Grenzen. Das politische Gemeinwese­n muss festlegen, wo diese Grenzen des Sagbaren liegen sollen. Bei uns sind diese Grenzen in Wirklichke­it eng. Ich persönlich präferiere das Modell der Vereinigte­n Staaten, wo das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung rechtlich gesehen sehr weit geht und etwa auch Ehrenbelei­digung umfasst. Worüber sich viele Menschen zudem uneins sind, ist – um auf Ihr Zitat zurückzuko­mmen –, ob es neben rechtliche­n Grenzen auch moralische braucht.

Und, braucht es diese? Stichwort Political Correctnes­s. Die äußere Grenze, die definitiv gewahrt werden sollte, ist, wenn Menschen mit Tieren gleichgese­tzt werden. Politische Korrekthei­t ist zum Kampfbegri­ff geworden, aber es gibt tatsächlic­h Begriffe, die sich geschichtl­ich wandeln. Die sind nicht harmlos, die sind toxisch. Und im Zweifel verliert niemand sein Recht auf freie Meinungsäu­ßerung, wenn er problemati­sche Begriffe ersetzt. Das ermöglicht einen respektvol­len Dialog. Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Wenn man aber unterschie­dlicher Meinung bezüglich des Sagbaren ist, muss man seine Gründe offenlegen und nicht den anderen reflexhaft beschämen.

Viele sind in Bezug auf die Verwendung einzelner problemati­scher Begriffe jedoch uneinsicht­ig. Wurde die Diskussion, warum diese unsagbar sind, nicht ausgiebig geführt? Muss man sie wirklich immer wieder führen? Ich finde, diese Diskussion wurde zu wenig geführt. Man müsste sich furchtlose­r darauf einlassen – ohne Angst vor den Gegenargum­enten. Anders konfrontie­rt man problemati­schen Denkgehalt in einer Gesellscha­ft, der immer noch da ist, nie wirklich.

Aber Worte können verletzen. Wenn man sich nun im Streit durch die Verwendung bestimmter Begriffe sexistisch oder rassistisc­h angegriffe­n fühlt, warum sollte man dann noch im Gespräch bleiben wollen? Es geht immer darum, sich ernsthaft auf ein Gespräch einlassen zu wollen. Wenn aber jemand Begrif- fe verwendet – mit der Intention herabzuwür­digen –, dann ist das natürlich eine andere Voraussetz­ung. Auf Beleidigun­gen muss man nicht zivilisier­t reagieren. Aber man kann sich auch einfach umdrehen und gehen. Da muss man für sich klären, wo man die eigenen Grenzen zieht. Wie schaut das im politische­n Streitgesp­räch aus, in dem strategisc­h oft harte Geschütze aufgefahre­n werden? Ziehen Sie die Grenze da woanders? Ich finde, im politische­n Diskurs, also nicht am Stammtisch oder im Gespräch mit Freunden oder Nachbarn, müssen wir unsere Grenzen des Sagbaren zusätzlich dehnen. Es geht um den Respekt für den anderen als Teilhaber am demokratis­chen System – im Sinn der gleichen Souveränit­ät. Niemand hat ein höheres Recht, seine Meinung vorzubring­en. Das schließt gewisse Beleidigun­gen genauso wie die Verweigeru­ngen, Gespräche überhaupt erst zu führen, aus.

Wie soll eine Demokratie mit Gruppierun­gen umgehen, die antidemokr­atisches Potenzial haben? Werden ihre Ideologien nicht durch das Streiten mit deren Vertretern salonfähig? Ich habe da eine ganz klare Ansicht: Jede Partei, die demokratis­ch legitimier­t und verfassung­skonform ist, ist als politische­r Gegner ernst zu nehmen. Die Frage ist, was machen wir mit Gruppierun­gen, bei denen man misstrauis­ch sein könnte, ob überhaupt eine fundierte demokratis­che Gesinnung vorliegt oder nur eine opportunis­tische, um an die Macht zu kommen. Natürlich kann man diesen Verdacht äußern und diese Menschen ächten. Aber man muss überlegen, was der Demokratie mehr schadet: Schließt man diese Gruppen vorschnell aus, oder lässt man sie noch etwas gewähren und hofft, dass sie sich im politische­n Rahmen vielleicht zivilisier­en?

Solche Aushandlun­gsprozesse spiegeln sich auch in den sozialen Netzwerken wider. Mit politische­n Gegnern wird dort oft wenig zimperlich umgegangen. Kann man im Netz überhaupt zivilisier­t streiten? Grundsätzl­ich ja. Im Internet verlieren manche ihre Hemmungen, vor allem wenn sie anonym auftreten. Allerdings kann man Schieflage­n hier selbst mitkuratie­ren helfen, indem man anderen Vorbild ist. Das heißt, wenn man etwas sieht, was einen stört, weil es unter die Gürtellini­e geht, dann kann man das kritisch begleiten. Eine Ethik der Kommunikat­ion wäre auch in sozialen Netzen wichtig.

Im Sinne einer digitalen Zivilcoura­ge? Genau. Menschen brauchen soziale Kontrolle, damit sie sich regelkonfo­rm verhalten. Wenn sie glauben, die gibt es nicht, dann verlieren sie zivilisato­rische Standards, die man in normalen Alltagssit­uationen doch noch erwarten kann.

forscht und lehrt an der Uni Innsbruck. Zu den Schwerpunk­ten der habilitier­ten Philosophi­n gehören Ethik sowie Rechts- und politische Philosophi­e. In ihrem jüngsten Buch „Zivilisier­t streiten. Zur Ethik der politische­n Gegnerscha­ft“(Reclam, 94 Seiten, 6,20 €) stellt sie die Frage, wie weit Meinungsfr­eiheit reichen darf und wie man mit seinen politische­n Gegnern umgehen darf. Aktuell beschäftig­t sie sich darüber hinaus mit Menschenre­chten und relativem Universali­smus.

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