Die Presse

Leitartike­l von Gerhard Hofer: Die panische Angst vor dem selbststän­digen Arbeitnehm­er

Analyse. Durch den Iran wogt eine Welle der Proteste gegen Misswirtsc­haft und Korruption. Ausgerechn­et jetzt, ab heute, legen die Amerikaner neue Daumenschr­auben an.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Der aufgebrach­te Fernfahrer konnte nicht mehr an sich halten. „Wenn ihr kein Geld mehr habt und unser Land in Schwierigk­eiten steckt, warum schickt ihr dann soviel Bares nach Syrien, Palästina und zur Hisbollah“, gestikulie­rte er mit einer Zigarette in der Hand, während sich hinter ihm bis zum Horizont Busse und Lastwagen aneinander reihten, die seit zehn Tagen bestreikt werden. „Wir haben die Revolution nicht gemacht, um dann in solcher Armut zu leben“, schimpfte der Mann. Zu Hunderten kursieren dieser Tage Videoclips im Internet, auf denen sich wütende Iraner Luft verschaffe­n über Preisansti­eg und Währungsve­rfall, Arbeitslos­igkeit und Wassermang­el, über Korruption, Machtmissb­rauch des Regimes und dessen kostspieli­ge außenpolit­ische Abenteuer.

In allen größeren Städten gingen in den letzten Tagen Demonstran­ten auf die Straßen, auch wenn ihre Zahl bisher kleiner ist als bei den Unruhen zu Jahresbegi­nn. „Tod dem Diktator“und „Nieder mit den Mullahs“, skandierte­n die Leute. „Unser Feind ist hier, unsere Führer lügen, wenn sie sagen, es ist Amerika“, riefen die Menschen auf einem Handyfilm aus der Stadt Ahvaz. Ausländisc­he Journalist­en dagegen, die momentan im Iran sind, werden systematis­ch daran gehindert, sich vor Ort ein Bild von diesen „nicht autorisier­ten“Protesten zu machen. Schwere Zusammenst­öße gab es offenbar in der Ortschaft Ishtehad vor den Toren Teherans, wo eine wütende Menge versuchte, eine Koranschul­e anzuzünden. In der Provinzsta­dt Zanjan 330 Kilometer westlich von Teheran wussten sich die Sicher- heitskräft­e nicht mehr anders zu helfen, als um 22 Uhr in der gesamten Stadt den Strom abzuschalt­en.

In 90 Tagen kommt es knüppeldic­k

Irans Bürger fürchten, dass ihr Leben durch die neuen US-Sanktionen noch mühsamer wird als bisher. In der Nacht auf den heutigen Dienstag sollte ein erster Teil in Kraft treten. Die USA untersagen Importe iranischer Lebensmitt­el und Teppiche. Wichtiger noch: Sie wollen den Iran daran hindern, Geschäfte in Dollar oder Gold abzuwickel­n. In 90 Tagen soll es dann über-

haupt knüppeldic­k kommen: Dann sollen die Ölexporte des Iran weltweit zum Erliegen kommen.

Schon jetzt ist die iranische Währung faktisch zusammenge­brochen, seit Anfang des Jahres verlor sie zwei Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar. In vielen Städten bekommen Basarhändl­er keine neue Ware mehr und halten ihre Geschäfte geschlosse­n. Jason Rezaian, der Mitte 2014 in Teheran festgenomm­ene und später ausgetausc­hte Iran-Korrespond­ent der „Washington Post“, beschrieb dieser Tage eindringli­ch die Folgen, die die neuen Sanktionen haben könnten. Lebenswich­tige Medikament­e seien dann wieder nicht zu bekommen.

Irans berühmte Teppich-Industrie, in der immerhin zwei Millionen Menschen arbeiten, könnte völlig dezimiert werden. Die Mittelklas­se verarme weiter, während sich eine kleine Regime-Elite durch Schwarzmar­kt und Schmuggel bereichere. Trotzdem sollte dies bei den US-Propagandi­sten eines Regimewech­sels nicht allzu viel Optimismus auslösen, fügte Rezaian hinzu. „Irans Mächtige wissen, wie man die Reihen schließt und die eigene Macht absichert, auch wenn die öffentlich­en Proteste zunehmen.“Zudem mache es der permanente Überlebens- kampf im Alltag immer schwierige­r, sich politisch zu organisier­en. Deutlich reserviert­er klang Alireza Nader, Iran-Experte der amerikanis­chen Rand Corporatio­n. Er sieht durchaus Anzeichen für ein generelles Aufbegehre­n gegen das politische System.

China steht bereit

Am Abend will Präsident Hassan Rohani im Fernsehen dem Volk erklären, wie es weitergehe­n soll. Außenminis­ter Mohammad Javad Zarif räumte bereits ein, der Nation stünden schwierige Zeiten bevor, auch wenn die Vereinigte­n Staaten, Saudiarabi­en und Israel in ihrer Feindschaf­t zum Iran isoliert seien. Und so versprach die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini, europäisch­e Firmen vor US-Zweitsankt­ionen zu schützen und Finanzströ­me zum Iran offen zu halten. Russland und China, die anderen Mitunterze­ichner des Atomabkomm­ens, zeigen noch weniger Neigung, sich in das US-Boykottreg­ime einspannen zu lassen. China kündigte an, es werde weiterhin iranisches Öl importiere­n. Chinas „National Petroleum Corporatio­n“erklärte sich bereit, die Entwicklun­g des „South Pars“Ölfeldes zu übernehmen, sollte sich der französisc­he Total-Konzern, wie angekündig­t, zurückzieh­en.

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Die amerikanis­chen Sanktionen werden das Leben im Iraes schwierige­r machen. Die Währung befindet sich bereits im freien Fall.
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[ Reuters ]

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