Die Presse

Die panische Angst vor dem selbststän­digen Arbeitnehm­er

Gewerkscha­fter und Politiker sehen die Arbeitswel­t noch immer aus der Fabrikshal­lenperspek­tive des vorigen Jahrhunder­ts.

- VON GERHARD HOFER E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

D er deutsche Psychologe und Jurist Volker Kitz hat voriges Jahr ein feines Buch geschriebe­n. „Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss. Streitschr­ift für mehr Gelassenhe­it und Ehrlichkei­t im Arbeitsleb­en“. Gelassenhe­it und Ehrlichkei­t könnte auch die Debatte um Arbeitszei­tgesetz, vermeintli­chen Überstunde­nraub und Vier-Tage-Woche gut gebrauchen. Diese klassenkäm­pferischen Töne aus dem vergangene­n Jahrhunder­t haben mit den neuen Arbeitswel­ten nur noch sehr wenig zu tun. Die Zeiten sind vorbei, in denen Fabriksarb­eiter ihren „Bossen“auf Gedeih und Verderb ausgeliefe­rt waren und nur der starke Arm der Gewerkscha­ft Schutz bot.

Wer in die Fabrikshal­len großer heimischer Industrieu­nternehmen blickt, sieht dort Leute, die wissen, dass sie in ihrem speziellen Fachgebiet mehr wissen als ihr Vorarbeite­r. Der Fachkräfte­mangel ist kein Mangel an Arbeitskrä­ften, sondern ein Mangel an Wissen. Fabriks- und Industriea­rbeiter sind keine austauschb­aren kleinen Rädchen im Getriebe mehr. Eigenständ­iges Handeln ist gefragt, selbstbewu­sste Arbeitnehm­er. Und genau diese selbststän­digen, vielleicht sogar unternehme­risch denkenden Mitarbeite­r passen nicht mehr ins sozialpart­nerschaftl­iche Beuteschem­a. Die Interessen­verbände haben die Überfuhr ins 21. Jahrhunder­t gründlich verschlafe­n. Für sie stellt Selbststän­digkeit jeglicher Art eine existenzie­lle Bedrohung dar. Ihre Aufgabe ist es schließlic­h, für ihre Schäflein, Mitglieder und Pflichtmit­glieder da zu sein, die sich ja allein nicht wehren können. Längst scheint klar: Nicht die Menschen haben Angst vor der Veränderun­g, sondern die Institutio­nen.

Dass die Post überlegt, eine Vier-TageWoche einzuführe­n, ist genauso fein, wie dass der Postbus der ÖBB jüngst eine 50-Stunden-Woche kollektivv­ertraglich ausverhand­elt hat. Die Welt ist eben nicht mehr schwarz-weiß, schon gar nicht die Arbeitswel­t. Die Welt, in der für „die Wirtschaft“oder für „die Arbeitnehm­er“gefochten wurde, ist von gestern. Und das Schreckges­penst von der arbeitspla­tzvernicht­enden Digitalisi­erung fürchtet keiner mehr. Vor fünf Jahren sorgten der Ökonom Carl Benedikt Frey und der Informa- tiker Michael Osborne mit ihrer Studie, wonach 47 Prozent aller Jobs in den USA durch Automatisi­erung bedroht seien, für regelrecht­e Hysterie. Eine von Politikern und Funktionär­en geradezu freudig aufgegriff­ene Hysterie, schließlic­h konnten sie sich als Retter generieren und den ohnmächtig­en Wählern verspreche­n, dass sich nichts verändern wird, dass alles so bleibt, wie es ist.

Was Populisten von Donald Trump abwärts dabei leider übersehen: Der technologi­sche Fortschrit­t hat immer zu mehr Wohlstand geführt. Je höher der Automatisi­erungsgrad in Gesellscha­ften, umso besser geht es den Menschen. Das gilt auch für die Digitalisi­erung. Allerdings nur, wenn wir unsere Arbeitskul­tur und unser Sozialsyst­em weiterentw­ickeln und nicht stur an den alten Strukturen festhalten.

Tatsächlic­h steigt die Zahl der Beschäftig­ten in diesem Land kontinuier­lich, bejubeln wir in regelmäßig­en Abständen neue Beschäftig­ungsrekord­e. Gleichzeit­ig sinkt die Gefahr stetig, seinen Job zu verlieren. Dass wir in Österreich dennoch eine relativ hohe Arbeitslos­igkeit haben, hat vor allem strukturel­le Gründe. Man fliegt zwar schwer raus, kommt aber auch sehr schwer rein. Deswegen ist etwa aktive Arbeitsmar­ktpolitik so wichtig. Das Arbeitsmar­ktservice (AMS) muss mit seinen Schulungsp­rogrammen oft das planieren, was unser Bildungssy­stem verbockt hat. D er Psychologe Volker Kitz hat sich angesehen, wie wir auf bestimmte Wörter reagieren. „Krieg“finden wir natürlich nicht super, „Liebe“hingegen schon. Ganz spannend wurde es bei seinem Experiment beim Wort „Arbeit“. „Arbeit“haben wir natürlich gern. Hingegen reagieren die meisten beim Wort „arbeiten“nicht ganz so euphorisch. Kitz kam zur Erkenntnis: „Arbeit macht glücklich, arbeiten unglücklic­h.“

An dieser Diskrepanz müssen wir noch arbeiten. In aller Ehrlichkei­t und Gelassenhe­it – und ganz ohne Klassenkam­pfrhetorik.

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